Innsbruck/Linz/Wien - Die Arbeit der Wilhelminenberg-Kommission ist beendet, in einigen Punkten zur Aufarbeitung der Missstände in Kinderheimen der Fünfziger- bis Siebzigerjahre steht man aber erst am Anfang. So sollen die Umstände der Aktenvernichtung bei Schließung des Heims (1977), in dem laut Kommission "massive Gewalt", Missbrauch und Vergewaltigungen vor sich gingen, noch genauer untersucht werden.

Auch Erhebungen zum Kinderheim Hohe Warte, das eng mit dem Heim in Ottakring zusammengearbeitet haben soll, seien geplant. Das kündigte Jugendstadtrat Christian Oxonitsch (SP) am Freitag an, als das von Richterin Barbara Helige geleitete Team dem für Jugend zuständigen Ausschuss im Rathaus seinen Bericht präsentierte. Am Mittwoch war das 344-Seiten-Konvolut der Öffentlichkeit vorgestellt worden.

Einrichtung einer österreichweiten Dokumentationsstelle

Oxonitsch werde, so hieß es aus seinem Büro, die Magistratsabteilung 11 (zuständig für Kinder, Jugend und Familie) mit der Einrichtung einer Arbeitsgruppe beauftragen, der auch Kontrollinstanzen - möglich wären etwa Mitglieder des Kontrollamts oder der internen Revision - angehören sollen. Weiters sei die Überprüfung der Jugendwohlfahrts-Kontrollinstanzen geplant.

Akteneinsicht für Betriffene

Die Einrichtung einer österreichweiten Dokumentationsstelle ist für Oxonitsch ebenfalls denkbar. Johannes Öhlböck, Anwalt 25 früherer Heimkinder in Wien, sieht schon länger eine Notwendigkeit dafür, da viele Zöglinge in mehreren Heimen in verschiedenen Ländern waren. In der Dokumentationsstelle sollte es für Betroffene Akteneinsicht geben, meint er, für andere Interessierte auch in anonymisierter Form.

Der Innsbrucker Zeithistoriker Horst Schreiber (Im Namen der Ordnung. Heimerziehung in Tirol) kann dem viel abgewinnen. In einem solchen Archiv sollten Erzählungen und Berichte der Opfer festgehalten werden, sagt Schreiber. Ziel müsse es sein, die "systematischen Menschenrechtsverletzungen ins kollektive Gedächtnis zu bringen". Die Dokumentationsstelle hätte, so Schreiber, auch eine politische Funktion: "als Vertreterin der Betroffenen".

Opferschutzstelle seit Juni 2010 in Oberösterreich

In Oberösterreich steht man der Idee positiv, aber zurückhaltend gegenüber: "Erst wenn wir Details kennen, werden wir uns intensiver damit auseinandersetzen", sagt Antonia Licka, Verantwortliche der Opferschutzkommission des Landes. Im Juni 2010 hatte Oberösterreich die Opferschutzstelle installiert und im Herbst eine Kommission eingesetzt. Zudem wird die Geschichte des Jugendfürsorgewesens wissenschaftlich aufgearbeitet, unter anderem auch von Historiker Michael John, der Mitglied der Helige-Kommission war.

John erscheint besonders dringlich, einige Heime noch genauer zu untersuchen. Im STANDARD-Gespräch nannte er dabei neben jenem auf der Hohen Warte im 19. Bezirk vor allem das Heim in Eggenburg (in Niederösterreich, aber unter Verantwortung der Stadt Wien), "wo es nachgewiesenermaßen Todesfälle gegeben hat".

Wichtig sei auch die Vergangenheitsaufarbeitung mehrerer Heime in Kärnten, meint John, "das sind noch ganz weiße Flecken". Den Verdacht auf Verbindungen in die Rotlichtszene, wie er beim Heim Wilhelminenberg bestanden hatte, gebe es in diesen Fällen aber nicht. (jub, mro, spri, DER STANDARD, 15./16.6.2013)