Vor "Girl on Fire" habe sie sich wie ein Löwe in einem Käfig gefühlt, jetzt sei sie ausgebrochen, erklärte Alicia Keys online.

Foto: Robert Newald

Wien - Die Show beginnt mit einem Flug über eine gewaltige Brücke in einem computergenerierten, menschenleeren Utopia mit New-York-Anmutung. Die Brücke ist nur der erste Hinweis auf die Bedeutung, die Alicia Keys Übergangszuständen neuerdings beimisst.

Sowohl das Album Girl on Fire als auch die dazugehörige Tour Set The World On Fire drehen sich ganz ums Ausbrechen und um tiefgreifende Veränderungen. Brand New Me oder New Day heißen die programmatischen Songs. Das brennende Gefühl, an der Schwelle zu stehen, mag auch damit zu tun haben, dass Alicia Keys seit 2010 Mutter ist.

Nun hat es natürlich etwas Doppelbödiges, wenn eine Sängerin, die auf 14 Grammys und 30 Millionen verkaufte Alben zurückblickt, davon spricht, dass sie sich selbst völlig neu erfinden wolle, und davon, wie wichtig es sei, "auf sein Herz zu hören". Dennoch nimmt man der New Yorkerin, die 2001 mit der Single Fallin' debütierte, solche Sätze leichter ab als manchen ihrer Kollegen. Zweifellos brennt die 33-Jährige tatsächlich für das, was sie tut. Die teilweise schmerzhafte Glätte ihrer Produktionen kann sie damit allerdings nicht aus der Welt reden.

Lautstärke statt Feinheiten

Das angeblich so unbändige Feuer bewegt sich in der Stadthalle dann doch eher in geordneten Bahnen, die Arrangements bleiben brav im Rahmen des Salonfähigen. Eine sechsköpfige Band bereitet Keys ein handwerklich einwandfreies Bett, während sie ihrem Namen gerecht wird und verschiedene Tasteninstrumente bedient: hauptsächlich einen weißen Flügel, aber auch ein Pianino und ein Fender Rhodes. Die besten Momente sind jene, in denen leidenschaftliche Musikalität zwischen den allzu mainstreamigen und feuerfesten Song-Gehäusen hervorzüngelt.

Bedauerlich ist, dass die feinen Nuancen der schönen Soulstimme einer hoffnungslos übertriebenen Verstärkung zum Opfer fallen. Hohe Klavierakkorde klirren manchmal nur. Dabei bräuchte Alicia Keys kaum Angst vor mehr Transparenz zu haben. Irritierend ist, wenn die New Yorkerin ihre Instrumente zeitweise nur symbolisch spielt: Wenn sie sich etwa bei Girl on Fire nur mit einem reduzierten Drumkit aus Tom und Snare selbst begleitet, dann ist das ein eindrucksvolles Bild. Man bedauert, dass sie dabei von ihrem Drummer überlagert und gewissermaßen bevormundet werden muss. Die Imperfektion, auf die Keys nach eigenen Angaben großen Wert legt, hat da freilich wenig Chance.

Ein geheimer Höhepunkt des Abends ist ein Cover von Marvin Gayes Motown- Klassiker You're all I need to get by, performt von den hervorragenden Backgroundsängern Whitney Keaton und Jermaine Paul.

Alicia Keys steckt zwar nicht die Welt in Brand, zündet aber zumindest einen Kachelofen an, aus dem es zeitweise ordentlich züngelt. Trotzdem wird man sich daran eher wärmen als verbrennen. (Roman Gerold, DER STANDARD, 15./16.6.2013)