Roberta Bondar war die erste Kanadierin im Weltall und "auf Augenkontakt mit dem, was das Leben ist". Der Flug selbst habe aber wenig Romantisches.

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Ich bin in einer Kleinstadt in Kanada aufgewachsen, in der Nähe von Sault Ste. Marie in Ontario. Die Lichtverschmutzung dort ist sehr gering, daher kann man die Sterne dort sehr gut sehen. Unsere Eltern zeigten meiner Schwester und mir gerne die Sternenbilder. Als ich noch ein kleines Kind war, schickten die USA gerade die ersten Satelliten in den Weltraum, diese waren eigentlich erleuchtete Ballons, die ihre Signale auf die Erde warfen. Und wir konnten das in Sault Ste. Marie über unseren Köpfen beobachten. Ich war davon fasziniert, überlegte mir, wie das Leben im Weltraum aussehen könnte. Unsere Eltern unterstützen uns bei all den Dingen, die meine Schwester und mich interessierten.

Sie nahmen uns in Büchereien mit, wo wir uns über den Weltraum informieren konnten, schenkten uns passenden Lesestoff. Mein erstes Science-Fiction-Buch habe ich noch immer. Mit meiner Schwester habe ich aus Balsaholz kleine Dinge gebastelt, die für eine Achtjährige auf keiner Weltraumstation fehlen dürfen. Natürlich gehörte auch eine Rakete dazu.

Kreativität ausleben

Zurückblickend war es schon ungewöhnlich für ein kleines Mädchen in den 1950er-Jahren, sich mit diesem Thema derart intensiv zu beschäftigen. Daran dachte ich natürlich damals nicht. Für mich war es eine gute Möglichkeit, meine Kreativität auszuleben. Daneben hat mich auch schon früh interessiert, wie der menschliche Körper funktioniert, aber auch von der Fotografie war ich begeistert. Eigentlich hatte ich schon früh den Fokus auf die Dinge geworfen, die mich auch beruflich mein ganzes Leben begleitet haben, nämlich Fotografie, Biomedizin und Raumfahrt.

Als Studienfach wählte ich Zoologie, weil ein naturwissenschaftliches Basisstudium ein guter Einstieg ist. Der Bachelor in Landwirtschaft war zwar nicht ganz meine Entscheidung, sondern eher das Ergebnis wirksamer Werbemaßnahmen für diese Studienrichtung. Langfristig gesehen hat sich gerade diese Studienkombination ausgezahlt. Denn einer der Gründe für die Aufnahme im Raumfahrtprogramm der Nasa war mein breites Wissen. Den Master machte ich in experimenteller Pathologie, den PhD in Neurobiologie.

Den Traum vom Weltall habe ich während meiner Studienzeit jedenfalls nie aus den Augen verloren, und ich wollte deshalb ursprünglich nach dem Masterstudium die Ausbildung zum Piloten absolvieren, um später in den Weltraum fliegen zu können.

Dass es eigentlich nur Raumfahrer und kaum Raumfahrerinnen gibt, wurde mir erst durch eine Stellenausschreibung für das nordamerikanische Spaceshuttle-Programm bewusst. Darin wurden im Speziellen Frauen angesprochen, sich für dieses Programm zu bewerben. Ich war mit meinem Studium fast fertig und bewarb mich dafür.

Ich wusste auch, dass Weltraummediziner dort immer gebraucht werden. Astronautin ist ja ein Beruf, der nicht nur aus Weltraumflügen besteht. Es ist wichtig, dass man im Space-Programm Aufgaben findet, die seinen Vorkenntnissen entsprechen. Nur die wenigsten in diesen Programmen sind Piloten.

Vier Jahre intensives Training

Ich begann 1983 als Leiterin eines internationalen Forschungsteams, die gesundheitlichen Veränderungen von Astronauten nach ihrem Weltraumflug zu untersuchen. 1984 startete ich mit meinem Training für den Weltraumflug. Durch den Challenger-Unfall 1986 kam es bei der Raumfahrt zu einem Stillstand. Die Vorbereitungen für meine erste Mission ins Weltall nahm ich erst 1988 wieder auf. Das intensive Training dauerte vier Jahre. Gerade für Naturwissenschafter war es durchaus herausfordernd. Denn Menschen machen Fehler, und der Großteil des Trainings bestand darin, wie mögliche Fehler behoben werden können. Aber auch der Alltag in einem Spaceshuttle wird trainiert. Das romantische Bild der Schwerelosigkeit, wie es im Fernsehen gezeigt wird, stimmt mit der Realität nicht überein. Es ist eine sehr herausfordernde Umgebung, jede Bewegung löst eine dementsprechende Gegenbewegung aus. In der Öffentlichkeit wird das natürlich besser dargestellt, weil künftige Raumfahrer nicht entmutigt werden sollen. Aber schon nach 48 Stunden im Weltraum funktionieren die einfachsten Bewegungen bei der Rückkehr nicht mehr und müssen wieder erlernt werden.

1992 war es dann so weit, und ich war mit an Bord der Raumfähre Discovery. Unsere Mission dauerte acht Tage. Und der Blick auf den Planeten Erde vom Weltraum aus verändert jeden. Diese Sicht kann in keinem Imax-Kino simuliert werden. Denn dort kann man noch immer ganz normal auf die Toilette gehen oder sich Popcorn kaufen, und wenn eines runterfällt, bleibt es unten liegen. Vom Orbit schaut man auf die Erde, sieht das Verhältnis von Wasser und Land, und sonst ist nichts, keine strahlenden Sterne, nur tiefes Schwarz und die Erde.

Humanressource

Es ist so, wie wenn man seinem Lieblingsmusiker plötzlich live gegenübersteht. Dieser Blick war für mich der Augenkontakt mit dem, was unser Leben ausmacht. Wenn wir aus dem Fenster schauen, wirkt die Erde ja wie eine Hütte, und es wäre sehr ungewöhnlich, wenn jemand hier dauernd daran denken würde, dass er auf einem Planeten lebt. Mir hat dieser Blick auf den Planeten die Augen weiter geöffnet. Ich habe mich schon immer für unsere Umwelt interessiert, aber durch meinen Ausflug ins All wurde mir noch stärker bewusst, dass wir auf einem Planeten leben, auf dem die vorhandenen Ressourcen geschützt werden müssen. Und eine ganz wichtige Ressource ist die Humanressource. Aber auch wenn der Flug mein Leben verändert hat, wollte ich kein zweites Mal in den Orbit, auf den Mond ja, aber nicht noch einmal zu einer Raumstation. Auch nicht auf den Mars, denn bevor wir dorthin fliegen, müssen erst die Wirkungen der UV-Strahlung oder auch die Veränderungen im Gehirn durch die Schwerelosigkeit erforscht werden. Im Weltraum machen wir erst Minischritte. (Gudrun Ostermann, DER STANDARD, 15./16.6.2013)