Dina Malandi wünscht sich ein klares Bekenntnis von Polizei und Justiz zum Thema Rassismus und effektive Sanktionen bei Übergriffen.

Foto: Siniša Puktalović

Der Beratungsstelle des Vereins Zivilcourage und Antirassismus (ZARA) werden laufend rassistische Übergriffe und Diskriminierungen seitens der Polizei gemeldet. Die juristische Beraterin Dina Malandi erklärt im Gespräch mit daStandard.at, wie Betroffene sich dagegen wehren können.

daStandard.at: Von Marcus Omofuma, der während seiner Abschiebung aus Österreich von drei Polizisten fahrlässig getötet wurde, bis zum Folterskandal von Bakary J. - die Polizei spricht nach solchen Ereignissen immer von Einzelfällen. Wie sehen Sie das?

Malandi: Was uns auffällt, ist, dass es leider immer wieder Fälle gibt, die ähnlichen Mustern folgen. Man kann durchaus von einem strukturellen Rassismus bei Polizei und Justiz sprechen. Es fehlt das Bewusstsein, das zuzugeben und sich in weiterer Folge für Verbesserungen einzusetzen. Das macht strukturellen Rassismus auch aus - wenn kein wirklicher Wille besteht, ihn abzuschaffen, und Rassismus durch das System mitgetragen wird, indem etwa Übergriffe unzureichend zu Konsequenzen für die betroffenen Beamten und Beamtinnen führen.

daStandard.at: Welche Rechtsgrundlage gibt es für Polizistinnen und Polizisten in Bezug auf rassistisches Verhalten?

Malandi: Rassistische Äußerungen oder ein solches Verhalten dürfen in einer Amtshandlung nicht vorkommen. Es gibt die Richtlinienverordnung, die unter anderem quasi Verhaltensregeln beinhaltet, etwa die Anrede mit "Sie". Exekutivbeamte und -beamtinnen dürfen nicht den Eindruck erwecken, aufgrund des Geschlechts oder auch der ethnischen Zugehörigkeit et cetera negativ beeinflusst zu handeln.

daStandard.at: Was kann man als Opfer eines rassistischen Übergriffs durch die Polizei machen?

Malandi: Es kommt auf die Art des Übergriffs an. Bei physischen Übergriffen greift das normale Strafrecht. In diesen Fällen führen dann aber Kollegen und Kolleginnen die Ermittlungen durch, und das kann problematisch sein. Es gibt zwar eine eigene Abteilung, das Bundesamt für Korruptionsbekämpfung, dieses ist aber eine Einrichtung des Innenministeriums. Es ist damit Teil des Systems ohne die erforderliche Unabhängigkeit.

Bei rassistischen Äußerungen oder rassistischem Verhalten kann die betroffene Person bis zu sechs Wochen nach dem Vorfall eine Richtlinienbeschwerde einbringen. Die zuständige Dienststelle kann zuerst selbst versuchen, zu einer Lösung zu finden. Das kann eine Entschuldigung sein, oder es kann zu einem Gespräch kommen. Wenn das für die betroffene Person so abläuft, wie sie sich das vorgestellt hat, wäre die Beschwerde beendet. Wenn die Behörde nicht reagiert oder den Vorfall abstreitet, kann der oder die Betroffene die Beschwerde vor den Unabhängigen Verwaltungssenat bringen.

Auch eine Maßnahmenbeschwerde kann man beim UVS einbringen, wenn man etwa festgenommen oder kontrolliert wurde, ohne dass ein Grund dafür bestand. Allerdings trägt man dort das Kostenrisiko, wenn man das Beschwerdeverfahren verliert. Die Gegenseite kann dann ihre Kosten geltend machen. Das schreckt natürlich viele ab.

daStandard.at: Wie stehen die Chancen, dass man das Verfahren gewinnt?

Malandi: Wenn man keine "guten", stichhaltigen Beweise hat, das heißt zum Beispiel ZeugInnen des Vorfalls oder andere Beweismittel, stehen die Chancen eher schlecht. Wenn der Beamte oder die Beamtin alles abstreitet, wird oft ihnen geglaubt. Das hat auch damit zu tun, dass man quasi dienstlich natürlich nicht lügen darf. Daraus wird absurderweise geschlossen: Der hätte ja noch mehr Probleme, wenn er lügt, dann tut er es nicht. Diese Ansicht ist ein wenig fragwürdig. 

daStandard.at: Welche Fälle werden Ihnen gemeldet?

Malandi: Ein großes Thema ist "Ethnic Profiling" - dass in erster Linie demografische Merkmale beziehungsweise ethnische Zugehörigkeit herangezogen werden, um Amtshandlungen durchzuführen. Betroffene werden etwa nach Hautfarbe anstatt nach sachlichen Kriterien ausgesucht.

Zum Beispiel bei Herrn M., er ist gebürtiger Senegalese und österreichischer Staatsbürger. Als er eines Tages aus seiner Bankfiliale hinaus auf eine gut besuchte Fußgängerzone geht, wird er plötzlich von Polizisten zu einer Polizeikontrolle angehalten. Er ist stehen geblieben, sein Ausweis wurde verlangt. Er hat ihn hergezeigt, aber auch nachgefragt, warum. Das ist auch sein gutes Recht. Darauf hat er keine Antwort bekommen. Es wurde nur in unfreundlichem Ton "Routinekontrolle" gesagt. Dann ist telefoniert worden, es hat eine Weile gedauert, er musste warten. Weil er es eilig hatte, hat er nachgefragt, wie lange es noch dauern würde. Der Beamte war nicht begeistert, hat das Du-Wort verwendet, hat sich zu einem "Jetzt reicht's! Wir sind ja nicht in Afrika" hinreißen lassen. Irgendwann war diese Kontrolle beendet. Drei Monate später bekam Herr M. wegen seines Verhaltens während der Amtshandlung eine Strafverfügung, und zwar wegen Lärmerregung, aggressiven Verhaltens und dadurch Behinderung einer Amtshandlung.

Aber auch rassistische Aussagen von Beamten und Beamtinnen sind öfters der Grund für bei uns eingehende Meldungen. Eine Frau, die auf der Straße von einem fremden Mann geschlagen wurde, bekam in ihrer Einvernahme vom Polizisten gesagt, dass dies wahrscheinlich deshalb passiert sei, weil "Ausländer" nur hierher kämen, um das Sozialsystem auszunutzen. Die Frau solle sich nicht so aufregen, in Russland würden sich die Leute sogar umbringen. Sie kommt aus Tschetschenien. Die Frau war schockiert darüber, dass der Polizist diese Handlung sozusagen gerechtfertigt hat.  

daStandard.at: Werden auch Fälle von physischen Übergriffen gemeldet?

Malandi: Das passiert leider ebenfalls, aber in viel geringerem Ausmaß. Auch hier funktioniert das Rechtssystem nicht immer. Verfahren wegen Körperverletzung gegen Beamtinnen und Beamte werden von der Staatsanwaltschaft oftmals eingestellt. Weiters kann es passieren, dass solche Anzeigen nach der Einstellung des Verfahrens gegen die Beamtinnen und Beamten zu einem Strafverfahren gegen den Anzeiger oder die Anzeigerin wegen Verleumdung führen.

daStandard.at: Wird denn in die Richtung Anti-Rassismus-Arbeit bei der Polizei etwas gemacht?

Malandi: Es gibt erste Schritte, die wir natürlich begrüßen. In der Polizeiausbildung gibt es etwa das Fach Menschenrechtsbildung - das Stundenausmaß könnte aber größer sein. Es wird auch Fortbildung für aktive Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angeboten. Diese ist jedoch freiwillig, sodass nur jene kommen, die vermutlich sowieso schon sensibel für das Thema sind. Supervision, begleitende und in den Alltag eingebundene Maßnahmen wären sinnvoll.

daStandard.at: Die Polizei wirbt derzeit massiv für den Beruf, auch unter Migrantinnen und Migranten. Was soll das bringen?

Malandi: Das ist an sich eine gute Idee, denn es würde die gesellschaftliche Realität besser abbilden. Das würde das Vertrauen in die Exekutive stärken und eventuell zu weniger Vorurteilen führen.

daStandard.at: Sie haben auch die Justiz angesprochen. Inwiefern sind Ihnen hier rassistische Äußerungen und Handlungen bekannt?

Malandi: Wir und andere NGOs haben durch unsere Arbeit den Eindruck gewonnen, dass hier mitunter mit zweierlei Maß gemessen wird. Die Hautfarbe oder die Herkunft können - möglicherweise auch unbewusst - manchmal ausschlaggebend dafür sein, wie die Glaubwürdigkeit eine Aussage gewertet wird. Der Vorfall im Jänner dieses Jahres, als eine Frau mit dunkler Hautfarbe vor die U-Bahn gestoßen wurde, steht für mich als jüngstes Beispiel für solche Fälle, die leider zu oft passieren. Das war ein sehr mildes Urteil. Außerdem wurde die rassistische Motivation für die Tat nicht einmal thematisiert und ist somit nicht ins Urteil eingeflossen. Rassistische und fremdenfeindliche Beweggründe sind in einem Strafverfahren als Erschwerungsgründe zu berücksichtigen.

daStandard.at: Was sind Ihre Verbesserungsvorschläge?

Malandi: Wir brauchen ein klares Bekenntnis, dass es strukturellen Rassismus bei Justiz und Strafverfolgungsbehörden gibt und den Willen, dies zu ändern. Nicht jeder Beamte, nicht jede Beamtin ist rassistisch, aber es gibt einfach zu viele Vorfälle und dieser Umstand wird vom System nicht ausreichend bekämpft. Wenn Übergriffe festgestellt werden, dann sind klare Schritte notwendig. Je nach Vorfall braucht es angemessene Strafen und/oder disziplinarrechtliche Folgen. Außerdem wäre eine unabhängige Beschwerdestelle zur Überprüfung solcher Vorwürfe sinnvoll. Verstärkte Sensibilisierungsmaßnahmen innerhalb der Behörden sind ganz wichtig – und zwar nicht nur in der Ausbildung, sondern auch verpflichtend für aktive Beamtinnen und Beamte. Schließlich auch noch Schulungen betreffend der Erfassung von Straftaten mit rassistischer Motivation. Dass etwas aus rassistischen Beweggründen passiert, wird sehr oft unter den Teppich gekehrt. Da sollten Polizei und Justiz ein klares Signal setzen und das Thema ernst nehmen. (Jelena Gučanin, daStandard.at, 14.6.2013)