Bild nicht mehr verfügbar.

Peter Simonischek als Jedermann und Jens Harzer als Tod

Foto: REUTERS/Leonhard Foeger
Mit der Eröffnung der Salzburger Festspiele am Freitag rückt auch der alljährliche Festredner in den Blick. Der rumänische Professor Andrei Plesu fügt neue Tupfen in das ewig gleiche Bild: An Salzburg soll die Zivilisation genesen.


Salzburg - Die Eröffnung der Salzburger Festspiele am Freitag fügt der schier unübersehbaren Folge von Programmreden, mit deren Hilfe man den unschuldigen Genuss an der Kunst alljährlich um den Wermutstropfen ihrer ganzheitlichen Betrachtung bereichert, eine besonders hintersinnige Variante hinzu.

Erinnert wird ab 17 Uhr an die Nöte und Komplexe unserer mittelbaren Nachbarn. Wiederum sollen die Festspiele einen Zusammenhang konstruieren, den die reale Politik nur unter Vorbehalt herstellt. Wieder werden Freundschaftsbande geknüpft, die zunächst nur im Festspielbezirk halten. Salzburg ist allsommerlich ein Ort der Exterritorialität: Ein ganzer Kontinent - das "alte Europa" - nimmt im Schatten des Mönchsbergs musischen Urlaub vom grauen Alltagsgeschäft in den globalen Wirtschaftszonen.
Der rumänische Intellektuelle Andrei Gabriel Plesu knüpft seine Reflexionen an jene Verbiegungen, die das Ceau¸sescu-Regime - dieses kuriose Gemenge aus "charismatischer" Tyrannis und realsozialistischer Ödnis - der Bevölkerung Rumäniens zumutete. Proben zu einer hierorts wenig bewussten Mentalitätsgeschichte also. Immer noch erheben die Salzburger Festspiele den Anspruch, in den oftmals niederschmetternden Lauf der Welt zwar nicht korrigierend, aber doch kompensatorisch einzugreifen.

Dergleichen mag auf den ungerührten Betrachter der Lebenswelt bestenfalls treuherzig wirken. Das hohe Ethos, das Pathos des "richtigen" Lebens inmitten einer zivilisatorischen Wüste, von dem dann ausgerechnet Helikopter-Streichquartette von Karlheinz Stockenhausen Zeugnis ablegen sollen, ist merkwürdig. Aber es führt in direkter Linie zu den Festivalgründern zurück.
Peter Ruzicka selbst zitierte im vergangenen Jahr, zum Auftakt seiner Ära als künstlerischer Festspielleiter, aus Max Reinhardts Gründungsappellen: "In Fest und Spiel sollte das Theater ja jeden Abend gestalten. Aber immer mehr wird es unmöglich, in der Großstadt dieser Forderung zu entsprechen." - So Reinhardt, der Erfinder des zauberhaft illusionären "Sommernachtstraumwaldes", im Jahre 1935. Die Stadt ist jener unbezähmbare Moloch, in dem sich die Sphären von Abstraktion und Daseinskampf unheilvoll durchmischen. Hofmannsthal seinerseits appellierte bekanntlich an den natürlichen "Spieltrieb" der süddeutschen Stämme - und erteilte damit der entzauberten Welt der Zivilisation eine endgültige Abfuhr.

Immerzu müssen die barocke Anmut Salzburgs und die bittere Pracht der Da-Ponte-Opern jene Wunden schließen helfen, die der Fortschritt seinen Skeptikern schlägt. Den Philosophen Peter Sloterdijk, Eröffnungsredner vor zwei Jahren, wollte es gar nicht länger in Europa halten - er setzte Sehnsuchtssegel in die "Neue Welt". Auch wenn diese womöglich nur auf den utopischen Atlaskarten der Kunst zu finden sei.
Seit Eröffnungsredner den Festspielbetrieb, kurz vor seinem endgültigen Losschlagen, zur Nachdenklichkeit und zum Innehalten zwingen, weht das Aroma eines als unwiederbringlich erlebten Verlusts durch die trauten Bezirke der hohen Salzburg-Kunst.

Dergleichen umschreibt man höflich mit "Mahnung": Wissenschaft und Technik bekommen regelmäßig ihr Fett ab. Der "Rationalismus" wird verschämt oder offen gegeißelt. Christian Ransmayr imaginierte 1997 die Festspielbühne als irisches Naturtheater. Der Triestiner Claudio Magris sprach von "Hoffnung" und litt doch unüberhörbar an der "Entzauberung" - jener Alltagswelt, die im schönen Salzburg so angestrengt kunstsinnig Pause macht.
(DER STANDARD, Printausgabe, 25.7.2003)