Ein Mann ist tot, und der Minister steht - vor allem hinter seinen Beamten. Ernst Strasser gibt ein Lehrbeispiel einer dem Rechtsstaat abträglichen Ausübung politischer Macht, wenn er die am Einsatz beteiligten Polizeibeamten weiterhin ihren Dienst versehen lässt: Was können wir heute wissen? Die bisher bekannt gewordenen (teilweise widersprüchlichen) Zeugenaussagen, ein mehrfach der Öffentlichkeit präsentiertes Video und das Ergebnis sind bekannt: Im Zuge einer Amtshandlung ist ein Schwarzafrikaner gestorben. Über die letztlich entscheidenden Ursachen jetzt schon abzusprechen wäre zu früh; definitive medizinische Resultate stehen aus, strafrechtliche Erhebungen sind noch nicht abgeschlossen.

Vorläufigen Maßnahmen

Das führt zu der zwingenden Überlegung, dass wir derzeit nicht sagen können, wer am Tod Cheibani W. schuld war und wer deshalb entsprechend zur Verantwortung zu ziehen sein wird. Das Recht hat es oft mit Ungeklärtem zu tun. Immer wieder stehen wir in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen vor dem Problem, schon handeln und entscheiden zu müssen, noch bevor eine Sache gänzlich aufgeklärt und geprüft ist. Man behilft sich dann mit vorläufigen Maßnahmen.

Entscheidungen nehmen Ergebnis der Prüfung nicht vorweg

Diesen Entscheidungen ist gemeinsam, einerlei ob sie das Straf- oder das Zivilrecht betreffen, dass sie das Ergebnis der Prüfung nicht vorwegnehmen dürfen und deshalb nur auf bestimmte Zeit erlassen werden dürfen. Im Dienstrecht gibt es das Institut der "vorläufigen Suspendierung". Diese "ist" über einen Beamten dann zu verhängen, wenn durch die Belassung des Beamten im Dienst wegen der Art der ihm zur Last gelegten Pflichtverletzung das Ansehen des Amtes oder wesentliche Interessen des Dienstes gefährdet würden (§ 112 BDG). Mit einer vorläufigen Suspendierung hätte sich dann die Disziplinarkommission zu befassen, die über die Suspendierung zu entscheiden hat. Jede durch Beschluss dieser Kommission verfügte Suspendierung bedeutet für den Beamten, dass er nur noch zwei Drittel seiner Monatsbezüge bekommt.

Suspendierung heißt nicht Verurteilung

Suspendierung heißt nicht Verurteilung, Aufhebung der Suspendierung ist kein Freispruch. Dass große Missverständnis von Strasser besteht nun darin, dass er so tut, als ob eine vorläufige Suspendierung der Beamten schon eine Entscheidung darüber wäre, ob sie am Tod von Cheibani W. auch schuld sind. Weil man jetzt noch nicht sagen könne, die Beamten seien schuld, dürfe - so das implizierte Argument - auch keine Suspendierung erfolgen.

Berechtigte Zweifel Das ist nicht nur falsch, sondern auch in gröblicher Weise unverständig. Als ob nicht schon der Umstand selbst, dass im Zuge der Amtshandlung ein Mensch zu Tode gekommen ist, genügend Zweifel entstehen lässt, dass die weitere Dienstausübung durch diese Beamten das Ansehen des Amtes gefährdet.

Oder ist man der Meinung, das Ansehen dieses Amtes könne gar nicht weiter gefährdet werden? Welch zynischer Umgang mit Mensch und Recht offenbart sich in der Phrase, es sei ohnedies alles "gesetzmäßig" verlaufen? Ist nicht der Schutz des Lebens die höchste Aufgabe unserer Sicherheitskräfte? Und ist nicht offensichtlich, dass sie bei der Erfüllung dieser Aufgabe schmerzlich versagt haben?

"Ansehen des Amtes"

Ist es unter Minister Strasser mit dem "Ansehen des Amtes" zu vereinbaren, dass ein aus polizeitechnischer Sicht wahrlich routinemäßiger Einsatz mit dem Tod endet? Sind keine "wesentlichen Interessen des Dienstes gefährdet", wenn die Beamten im Dienst belassen werden? Eine Suspendierung der beteiligten Beamten ist rechtlich möglich, und sie ist politisch-moralisch dringend geboten. Die Stadt Wien hat deshalb die richtige Konsequenz gezogen und Sanitäter und Notarzt vorläufig suspendiert. Damit ist noch nichts gesagt über ihre Schuld am Tod von Cheibani W. - aber es ist auf rechtlich plausible Weise ein Zeichen gesetzt.

Damit wird das Tor zu einer dienstrechtlichen Überprüfung geöffnet, den Betroffenen steht die Möglichkeit offen, die Entscheidung zu bekämpfen - und der Rechtsstaat wird auf den Weg gebracht. Die apodiktische Entscheidung Strassers aber, seinen Beamten "solidarisch" zur Seite zu stehen, und seine Entscheidung, die gebotene vorläufige Suspendierung nicht auszusprechen, ist politische Machtausübung gegen den Rechtsstaat. (Alfred J. Noll*, DER STANDARD Printausgabe 25.7.2003)

*Alfred J. Noll ist Rechtsanwalt in Wien und Universitätsdozent für Öffentliches Recht und Rechtslehre.