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Regierungschef Jean-Marc Ayrault droht mit einem Veto.

Foto: reuters/platiau charles

Paris - Alles war bereit für den Startschuss. Europäische und amerikanische Diplomaten sind übereingekommen, ein umfassendes Freihandelsabkommen in Bereichen wie Auto, Landwirtschaft, Chemie, Medien oder Gütertransport zu schließen.

Drohung

Am Freitag möchte der Brüsseler Handelskommissar Karel de Gucht mit den EU-Handelsministern das offizielle EU-Mandat beschließen. Beim G-8- Gipfel in der nächsten Woche sollte US-Präsident Barack Obama sodann feierlich verkünden, dass die Verhandlungen im September begännen, um 2014 in ein Abkommen zu münden, das den beiden Wirtschaftsblöcken immerhin ein Prozent Wachstum bescheren soll.

Doch es gibt ein kleines Problem. Frankreich stellt sich in den Weg. Premierminister Jean-Marc Ayrault drohte diese Woche unverhohlen mit einem "politischen Veto" für das EU-Mandat - es sei denn, der Kultur- und Medienbereich werde ausgenommen.

Viele staunen ob des Einwands, der auf den ersten Blick unbedeutend klingt: Was wiegt schon die Kultur im volkswirtschaftlichen Vergleich zu den Bereichen Industrie oder Landwirtschaft? Doch Frankreich ist es ernst. "Wir werden immer für die Verteidigung der kulturellen Vielfalt kämpfen", meinte Ayrault vor der Nationalversammlung in Paris. Und: "Wir werden kämpfen, wir werden kämpfen."

Kritische Filmförderung

"Kulturelle Vielfalt" meint nach französischer Lesart sehr Konkretes wie etwa Sendequoten oder Filmförderung. 40 Prozent der Musik in französischen Radios müssen zum Beispiel aus frankofonen Chansons bestehen; und zusammengenommen wird das französische, deutsche, britische und spanische Kino jährlich mit drei Milliarden Euro unterstützt.

Französische Filmregisseure unter Anführung von Cosa Gavras warnten am Dienstag EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso bei einem Treffen sehr eindringlich: Ein Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten werde den großen Internetkonzernen wie Amazon, Apple oder Google die Pforte zum europäischen Kinomarkt öffnen und die kulturpolitische Filmsubventionierung des alten Kontinents letztlich zerstören.

Der EU-Kommissionspräsident erachtet es allerdings für falsch, den ganzen Kulturbereich von den Verhandlungen auszunehmen. Er konterte, die neuen Technologien und Urheberrechte erforderten gerade neue Regeln, die man mit den Amerikanern aushandeln müsse; ein EU-US-Abkommen würde sodann der ganzen Welt als Vorbild nützen.

Barroso will die Pariser Sicht insofern berücksichtigen, als er drei Detaileinschränkungen vorsieht: Das Verhandlungsmandat soll die Sprachquoten, Filmsubventionen und kulturelle Förderungsmaßnahmen ausdrücklich garantieren; jedes Land soll zudem eigene Mediengesetze erlassen können.

Verhandlungspfand

Die Filmdelegation zeigte sich nicht überzeugt: Barroso sei "gefährlich" , weil er den US-Internetmultis nachgebe, meinte Costa Gavras nach dem Treffen. Auch die französische Außenhandelsministerin Nicole Bricq unterstellte der Kommission am Donnerstag, den Kulturbereich als Verhandlungspfand gegen Agrar- oder Industriefragen benützen zu wollen. " Doch die kulturelle Vielfalt ist nicht verhandelbar", meinte sie kategorisch.

Ob Brüssel und Paris doch noch eine Kompromissformel finden werden, war am Donnerstag unklar. Bei einem französischen Veto würde der Fahrplan für ein Freihandelsabkommen zumindest stark verzögert. Unterstützung erhält Frankreich nur von Belgien, Griechenland und Ungarn. Die Exportnation Deutschland ist hingegen eine treibende Kraft hinter vorbehaltlosen Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten.

Gerade in Berlin wundert man sich, warum die Franzosen in dieser Frage so starr bleiben. Die tiefere Erklärung liegt wohl darin, dass es über Marktanteile und Filmgelder hinaus um das kulturelle Selbstverständnis und die Identität einer Nation geht, die um ihre Eigenheit fürchtet. " Kulturelle Vielfalt" wird in Paris denn auch präziser "exception culturelle" genannt, und das entspricht eher einer "kulturellen Ausnahme". (Stefan Brändle, DER STANDARD, 14.6.2013)

Update: Die Europäische Kommission hat offenbar mit einem Zugeständnis an Frankreich den Weg zu Freihandelsgesprächen mit den USA freigemacht. Sie will den Mitgliedsländern in kulturellen Fragen ein größeres Mitspracherecht einräumen, wie die Nachrichtenagentur Reuters am Donnerstag von einem Insider erfuhr.