Shell-Wissenschaftschef Wolfgang Warnecke: "Die Brennstoffzelle ist deutlich besser, als batterieelektrisch zu fahren."

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Unterbau: Erdgasantriebs-System eines VW Passat. Die Alternative wird als Brückentechnik Richtung CO2-freier Mobilität gesehen.

grafik: volkswagen

Neu bei Audi: der A3 Sportback g-tron, ebenfalls ein Vertreter der Erdgas-Liga.

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Die Brennstoffzelle ist noch immer im Spiel.

grafik: der standard

STANDARD: Das Ausmaß der Energievorräte wird, wie sich im Nachhinein herausstellt, oft falsch vorhergesagt. Meistens stammen die Prognosen aber ohnehin aus einer einzigen Quelle, der IEA, der Internationalen Energieagentur. Wie ermittelt Shell in die Zukunft?

Warnecke: Falsche Vorhersagen werden vor allem über die Energiepreise gemacht, deshalb sagen wir dazu auch nichts. Über Energievorräte wissen wir hingegen recht gut Bescheid. Da meist doch mehr Vorräte erschlossen werden als zuvor angenommen, sind die verfügbaren Energievorräte oftmals reichlicher als erwartet. Schwieriger dagegen sind Prognosen zur Energienachfrage. Hierzu werden verschiedene Szenarien erstellt. Die Internationale Energieagentur ist dabei eine wichtige Quelle, es gibt aber auch andere.

STANDARD: Sehen Sie sich andere Szenarien auch an, vielleicht auch solche aus anderen Blickwinkeln?

Warnecke: Natürlich, ich verwende in meinen Vorträgen bewusst oft Szenarien der IEA, weil sie ei­ne unabhängige, sehr gut recherchierte Quelle darstellen.

STANDARD: Entscheidungsträger weltweit orientieren sich an Ihren Zukunftsmodellen. Haben diese Szenarien damit nicht etwas von einer selbsterfüllenden Prophezei­ung, nach dem Motto "Man fährt immer dorthin, wo man hinsieht"?

Warnecke: Shell setzt seit über 40 Jahren Szenariotechnik ein. Szenarien sind eine Methode, um die Zukunft zu erkunden. Diese Vorgangsweise ist wissenschaftlich anerkannt. Ziel ist es, Geschäftsentscheidungen auf Robustheit zu überprüfen, aber auch etwas zur gesellschaftlichen Diskussion beizutragen.

STANDARD: Das Elektroauto, das mit regenerativer Energie fährt, muss Ihnen als Vertreter der Mineral­ölindustrie doch manchmal Kopfzerbrechen machen. Oder emp­finden Sie bloß Schadenfreude ­angesichts brennender Batterien und stockender Absätze?

Warnecke: Ich glaube ganz fest dar­an, dass sich die Mobilität der ­Zukunft stark aufsplitten wird, in viele unterschiedliche Formen. Das Langstreckenfamilienauto ge­genüber dem Cityauto oder ein sportliches gegenüber einem lokal emissionsfreien oder emissions­armen Fahrzeug. Damit kommen auch neue Mobilitätsmodelle, Leihautos, Car-Sharing, neue Fahrzeug- und Geschäftsmodelle für Transportaufgaben.

STANDARD: Während die Vorräte schrumpfen, steigen die Preise. Kurzfristig stimmt ihre Kassa ja trotzdem. Aber was machen Sie, um längerfristig im Geschäft zu bleiben, auch unter dem Gesichtspunkt der Klimaveränderung?

Warnecke: Zunächst einmal ist Shell heute ja nicht nur ein Öl-, sondern gleichermaßen auch ein Erdgasunternehmen. Neben Otto- und Dieselkraftstoff engagieren wir uns daher bei ver­schiedenen Gaskraftstoffen wie CNG, also komprimiertem Erdgas, oder LNG, flüssigem Erdgas oder GTL, also "gas to liquids", bei dem wir eine hochqualitative Dieselkomponente aus Erdgas herstellen. Ob Wasserstoff, Erdgas, nachhaltige Biokraftstoffe, Elek­trizität, wir betrachten das ganze Portfolio.

STANDARD: Stichwort Wasserstoff: Es gibt Chemiker, die sagen, sie würden den Wasserstoff doch lieber nur im Labor sehen und nicht auf der Straße.

Warnecke: Einerseits müssen wir die Kohlendioxidemissionen in den Griff bekommen, andererseits gibt es diesen Trend zur Urbanisierung und die Forderung nach möglichst geringen Schadstoff- bzw. Smogemissionen. Für beides gibt es heute zwei technische Lösungen: Entweder batterieelektrisches Fahren oder ich speichere die Energie eben in Wasserstoff und wandle sie in der Brennstoffzelle in Strom um. Deshalb glauben wir, dass Wasserstoff mit Brennstoffzelle nach heutigem Stand der Technik genauso gut, wenn nicht sogar deutlich besser ist, als batterieelektrisch zu fahren.

STANDARD: Wenn man so leicht mit Wasserstoff fahren kann, warum gibt es dann ein Projekt von Audi, in dem zuerst auf komplizierte Art Wasserstoff mit CO2 zu Methan, al­so Erdgas, verwandelt wird, um dieses dann zu verbrennen, da könnte man doch gleich mit Wasserstoff fahren?

Warnecke: Ein wichtiger Grund ist, dass sich damit das vorhandene Gasnetz nutzen lässt, solange es noch kein Wasserstoffnetz gibt. Ansonsten könnte man sehr wohl auch den "wertvollen" Wasserstoff statt synthetischen Erdgases für Mobilitätszwecke nutzen.

STANDARD: Erdgas besteht fast zur Gänze aus Methan. Methan ist aber mehr als zwanzigmal so treibhauseffektfördernd wie Kohlendioxid. Ist das nicht enorm schädlich, wenn prozentuell auch nur geringe Mengen zwischen Förderung und Endverbraucher entweichen?

Warnecke: Erdgas kann zum einen bei Förderung und Transport entweichen, andererseits bei der motorischen Verbrennung. Auf allen Ebenen gibt es jedoch Bestrebungen und auch substanzielle Erfolge, den sogenannten "methane slip" zu minimieren. So sind z. B. die motorischen Methanverluste heute außerordentlich gering.

STANDARD: Gerne wird für Erdgas der Begriff Brückentechnologie verwendet. Manche behaupten, der Begriff Brückentechnologie wäre nur ein Synonym für die Verlängerung des Leidens?

Warnecke: Wir werden irgendwann einmal eine vollkommen emissionsfreie Mobilität haben, das wird aber noch sehr, sehr lange dauern. Auf dem Weg dorthin müssen wir alles tun, um die CO2-Emissionen aus dem Verkehr zu minimieren, bis sie irgendwann null sein werden. Erdgas kann hierbei eine wichtige Brücke in die Zukunft sein. (Rudolf Skarics, DER STANDARD, 14.6.2013)