Wien - Wenn doch nur etwas herausragend Positives über ihn zu sagen wäre! Versuchen wir es so: Er übertreibt nicht. Die Interpretationen Lang Langs, des vielleicht Fähigsten seiner Zunft (ja, bitte einmal kurz aufschreien, kein Problem), sie tragen mitunter glitzernde Kleidchen, schweres Parfüm und haben dieses etwas überintensive Showtänzerlächeln und diesen etwas überdrehten Gang von Jorge, dem Ex-Catwalk-Trainer der Heidi-Klum-Shows.

Über Maurizio Pollini hört man oft: diese Abgeklärtheit des Alters! Diese Konzentration auf das Wesentliche! Diese Herbstfarben! Falsch, alles falsch. Wenn man die harte Wahrheit aussprechen will, muss man sagen: Die Interpretationen des 71-Jährigen sind gehetzt, flach, ohne Prägnanz, von limitierter Brillanz und Gefühlstiefe. Pollini ist das permanente emotionale Moderato. Im Konzerthaus spielte die lebende Legende das erste Buch der Debussy-"Préludes" sowie einiges Kleineres ("Vier Mazurkas" opus 33) und Mittleres (zweite und dritte Ballade, drittes Scherzo) von Chopin. Pollini gleiche einem Führer, der dem Publikum in übereiliger, nicht sonderlich interessierter Art die Hörenswürdigkeiten der Werke präsentiere - so war es an dieser Stelle schon vor einem Jahrzehnt bemerkt worden.

Nichts hat sich geändert: Blasse Ausbrüche im a-Moll-Teil der zweiten Ballade; im dritten Scherzo waren im Des-Dur-Teil die tiefen, majestätischen Akkordfolgen ein wenig lauter und das himmelsnahe Verzierungswerk ein wenig leiser als mezzoforte, aber das war's auch schon. Von einer michaelspindeleggerschen Buntheit, Unberechenbarkeit und Narretei der Tanz des Puck in den "Préludes", farblos durchgenudelt die Minstrels, wie auch das dramatische, ziemlich fehlerhafte Finale der dritten der vier Zugaben, Chopins erster Ballade. Nach dem heftigen Beifall gilt es doch etwas bemerkenswert Positives über Pollinis Spiel zu sagen: Es scheint allen zu gefallen. Fast allen. (Stefan Ender, DER STANDARD, 13.6.2013)