Verkehrssituationen sind oft unklar. Wer glaubt, wegen einer grünen Ampel oder eines Schildes nicht mehr auf andere Verkehrsteilnehmer achten zu müssen, läuft Gefahr, rasch einen Unfall zu bauen. Bei der Exkursion "Bicycle Rules on the Road" im Rahmen der Velo-City-Konferenz ging es deshalb vor allem um Verkehrsregeln abseits von Fahrradweg und Straßenschild.

Graues Wetter, bunte Truppe: Am Morgen des ersten Velo-City-Konferenztages treffen sich Fahrradexperten und -interessierte zur Exkursion "Bicycle Rules on the Road" vor dem Wiener Rathaus. Die Teilnehmer aus der Schweiz, Holland, Australien und Kanada wollen vor Ort herausfinden, wie der Radverkehr in Wien geregelt wird, um so den Verkehr im eigenen Land verbessern zu können. Die Exkursion führt den Ring entlang, das Ziel: einige der heikelsten Stellen für Radfahrer in Wien.

Foto: michel mehle

Terry Eveston kommt aus Melbourne, Australien. Dort ist gerade Winter, das Wetter aber trotzdem besser. Fahrrad fährt deswegen aber kaum jemand. Mit gerade einmal einem Prozent zählt Melbourne zu den Städten mit dem geringsten Anteil an Radfahrern weltweit. Eveston will mithelfen, das zu ändern. Er schreibt Fahrradbücher für Kinder, die so beliebt sind, dass er von seiner Heimatstadt gebeten wurde, an der Velo-City-Konferenz teilzunehmen und Ideen zu sammeln. Für den Australier ist die strikte Trennung von Fuß- und Radwegen etwas Neues.

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Der Schweizer Niklaus Schranz arbeitet in seiner Heimat für das Bundesamt für Straßenwesen. In Wien soll er beobachten, wie der Fahrradverkehr geregelt wird. Was ihn am meisten verwundert: "Wieso haben Fahrradampeln hier zwei Rotlichter?" - "Falls eines kaputt geht", erklärt Exkursionsleiter und "Fahrradanwalt" Johannes Pepelnik. Schranz findet das schrullig.

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Pepelnik (im gelben Regencape) stellt den Teilnehmern die problematischsten Stellen für Radfahrer vor. Der Jurist hat sich auf Fahrradunfälle spezialisiert. Sein Fazit: "Die meisten Unfälle könnten vermieden werden, wenn die Verkehrsteilnehmer aufeinander statt nur auf die Schilder achten würden." Er spricht sich für Shared Spaces aus - Zonen, die Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt nutzen dürfen. Am Karlsplatz gibt es bereits so einen Bereich. Weil hier keiner ein Vorrecht habe, würde jeder besonders vorsichtig sein, sagt Pepelnik.

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Eine ehemalige Problemstelle am Parkring: Hinter Pepelnik stand lange Zeit eine Litfasssäule, die die Sicht auf entgegenkommende Radler versperrte. Erst nach vielen Unfällen und Pepelniks Hartnäckigkeit wurde sie entfernt. Vorne im Bild: Beth Savan aus Toronto, Kanada. Die Stadt verfügt über 2,5 Millionen Einwohner und gerade einmal ein paar Kilometer Radweg. Trotzdem sind 7,5 Prozent der Verkehrsteilnehmer mit dem Fahrrad unterwegs, "weil es hip ist und praktisch", sagt Savan. Den Mangel an Fahrrad-Infrastruktur in ihrer Heimatstadt kritisiert sie trotzdem stark.

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Wären Verkehrsteilnehmer dazu gezwungen, aufeinander zu achten, gäbe es weniger Unfälle, argumentiert Pepelnik. Das sei mit Shared-Space-Konzepten realisierbar, aber auch durch eine geringere Reglementierung des Straßenverkehrs. Vor allem bei komplizierten Kreuzungen wie an der Urania würde der Jurist sämtliche Ampeln entfernen lassen, damit die Verkehrsteilnehmer von sich aus Achtsamkeit entwickeln würden.

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Zwei Stunden Lokalaugenschein auf zwei Rädern: Völlig durchnässt kommen alle Teilnehmer wieder beim Rathaus an. Die Kamera zeigt wetterbedingte Ermüdungserscheinungen, die Teilnehmer nicht: Sie werden heute noch bei einigen Terminen der Velo-City dabei sein. (Michel Mehle, derStandard.at, 11.6.2013)

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