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Im Vordergrund fette Stromleitungen, im Hintergrund schwarzer Rauch, der einem Kohlekraftwerk der deutschen RWE entweicht. Der globale CO2- Ausstoß hat 2012 einen Rekordwert erreicht.

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Fatih Birol: "Ich sehe noch eine Chance, das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen."

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STANDARD: Die Finanzkrise hat den Klimawandel von der Top-Position auf der Polit-Agenda verdrängt?

Fatih Birol: Leider - trotz wissenschaftlich erhärteter Erkenntnisse, was die Ursachen betrifft. Der Energiesektor spielt eine entscheidende Rolle. Gut zwei Drittel der Treibhausgasemissionen stammen aus diesem Bereich. Im Vorjahr sind die CO2-Emissionen um 1,4 Prozent auf einen neuen Rekordwert gestiegen. Die Welt steuert auf eine Erhöhung der Durchschnittstemperatur um 5,3 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu, eine beängstigende Entwicklung.

STANDARD: Sie versuchen, die Bekämpfung des Klimawandels wieder auf die Agenda zu bringen. Doch etwas eigenartig für eine Institution wie die Internationale Energieagentur (IEA), oder?

Birol: Wieso? Wenn wir nichts tun, bekommen wir alle ein Problem.

STANDARD: Die IEA machte sich früher Gedanken über Versorgungssicherheit, teures Rohöl. Und plötzlich ist anderes wichtiger?

Birol: Weil beim Klimawandel der Energiesektor eine Schlüsselrolle spielt. Entweder findet der Sektor eine Lösung ...

STANDARD: ... oder?

Birol: Wenn nicht, wird es ernsthafte Probleme und Auswirkungen auch auf die Energieinfrastruktur geben. Das ist der Grund, warum wir uns so engagieren. In Europa ist der Kohleverbrauch 2012 mehr als in China gestiegen. Das war das erste Mal in den letzten 13 Jahren - jedenfalls seit es diese Art von Aufzeichnungen gibt. Kein gutes Zeugnis für den europäischen Umweltschutz und das Emissionshandelssystem.

STANDARD: Warum das?

Birol: Das liegt am Preis. Wenn die Verschmutzungsrechte teurer wären, hätten wir wahrscheinlich eine geringere Zunahme des Kohleeinsatzes gesehen, vielleicht sogar einen Rückgang.

STANDARD: So sind Kohlekraftwerke hingegen wieder zu echten Cashcows geworden?

Birol: Genau, und man lässt in Ermangelung richtiger Preissignale Alternativen links liegen.

STANDARD: Sie fordern auch verstärkte Anstrengungen in Sachen Energieeffizienz. Ist Energie nicht schlicht zu billig? Andernfalls würde wohl aus Eigeninteresse die effizienteste Technologie eingesetzt?

Birol: Die Leute sind ja interessiert an Energieeffizienz. In China beispielsweise sind die Emissionen 2012 so wenig gestiegen wie noch nie in den letzten Jahrzehnten. Die Energieeffizienz hat sich um 3,8 Prozent erhöht, weil die chinesische Regierung Standards definiert und Ziele vorgegeben hat. In den USA wiederum sind die Emissionen im Vorjahr auf Werte wie in den 1990er-Jahren zurückgegangen, also beträchtlich.

STANDARD: Schiefergas?

Birol: ... ist an die Stelle der Kohle getreten.

STANDARD: Die USA setzen auf billige Energie, um ihre Industrie nach vorne zu bringen, die Europäer auf erneuerbare. Was ist besser?

Birol: Energie sollte billig und nachhaltig sein. Auch die Gaspreise in den USA steigen wieder. Lagen sie vor einem Jahr noch bei 2,8 Dollar je Maßeinheit, sind es jetzt 4,2 Dollar. Bei Gaspreisen von fünf Dollar wird Kohle wieder zurückkehren. Außer die Regierung rafft sich zu einem entsprechenden Bann auf. Man arbeitet daran.

STANDARD: US-Gas ist immer noch deutlich günstiger als in Europa?

Birol: Definitiv. Nicht nur Gas, auch Strom. Das bereitet Europa ja auch Probleme, vor allem der energieintensiven Industrie.

STANDARD: Sind Sie noch überzeugt, dass das Zwei-Grad-Ziel und damit halbwegs erträgliche Umweltbedingungen zu schaffen ist?

Birol: Überzeugt nicht, aber ich sehe noch eine Chance. Deshalb schlagen wir ja auch Maßnahmen wie mehr Energieeffizienz vor.

STANDARD: Sollte man nicht dazu übergehen, die absehbaren Folgen der Klimaerwärmung abzumildern?

Birol: Ja, man soll sich mit Anpassungsmaßnahmen beschäftigen. Die Chancen, den Temperaturanstieg auf zwei Grad zu begrenzen, werden immer geringer.

STANDARD: Was machen Sie selbst, um nachhaltig zu leben?

Birol: Verschiedenes. Ich hatte zum Beispiel selbst nie ein Auto, ich fahre mit Öffis. Das ist mein persönlicher kleiner Beitrag. (Günther Strobl, DER STANDARD, 11.6.2013)