Rom/Wien – In jedem Wahlkampf warnen populistische Parteien in ganz Europa vor einem Verlust der eigenen Souveränität durch die EU – ein Gedanke, für den Italiens neue Außen­ministerin Emma Bonino nichts übrighat: "Wir müssen realistisch sein: Heutzutage kann kein europäisches Land wirklich glauben, alles selbst machen zu können", sagte die Neo-Ministerin in einem E-Mail-Interview zum Standard. In puncto Wahrung der eigenen Interessen sieht die italienische Spitzendiplomatin sogar Chancen in einer vertieften EU-Integration: "Ich glaube, dass nur eine richtige Form von Föderalismus das taugliche Mittel dafür sein kann, um die jeweilige nationale Souveränität zu schützen."

Kritischer fällt Boninos Urteil hingegen in Bezug auf das in der EU praktizierte Prinzip der Einstimmigkeit aus: "Wir riskieren damit eine Lähmung, wir geraten ins Hintertreffen", so die Ministerin, die am Freitag auf Einladung des European Council on Foreign Relations (ECFR) in Wien war. "Die europäischen Bürger erwarten sich von der Union nicht nur klare, sondern auch rasche Antworten. Und da hilft das Streben nach Einstimmigkeit nicht unbedingt weiter." Die Regierungen sollten "mehr bedacht sein auf das europäische Interesse. Dieses deckt sich meist ohnehin mit dem nationalen Interesse."

Der Zwang zur Einstimmigkeit kann also schädlich sein – doch gemeinsames Handeln ist in Boninos Augen für Europa fundamental. Anders als noch vor zwei Jahren in Libyen trete die EU in der aktuellen Phase des Syrien-Konflikts sehr geschlossen auf, erklärt sie: "Wir müssen uns auf eine Lösung konzentrieren, die tragfähig und nachhaltig sein kann. An den Gesprächen zur Genf-II-Friedenskonferenz sollten alle Parteien teilnehmen, die relevanten Einfluss haben auf die Dynamik in Syrien – also nicht bloß die Repräsentanten von Opposition und Regime. In dieser Hinsicht steht Europa sehr geschlossen da", analysiert Bonino.

Im Gleichklang mit der Internationalen Gemeinschaft sieht die Außenministerin auch das Engagement ihres Landes in Afghanistan: Parallel zu den USA begann auch Italien vor zwei Jahren mit einem schrittweisen Abzug, doch Bonino versichert, das Land werde nicht alleingelassen: "Wir werden die afghanischen Behörden im Transitionsprozess begleiten, insbesondere werden wir die Sicherheitskräfte unterstützen, sowohl finanziell als auch bei deren Ausbildung. Wir fordern aber von der Regierung in Kabul, ihre internationalen Verpflichtungen einzuhalten. Da geht es etwa um Transparenz und Glaubwürdigkeit bei den Wahlen 2014 und um die Respektierung der Menschenrechte – vor allem der Frauen."

Reformen für Italien

Italiens Politik war jahrzehntelang nicht eben ein Garant für Stabilität, doch heute sieht Bonino das neue Kabinett von Enrico Letta auf einem guten Weg: "Eine Regierung hat nicht einfach ein Ablaufdatum wie ein Joghurt. Ich wünsche mir, dass die Regierung, der ich angehöre, so lange bestehen kann, wie es eben dauern wird, die nötigen Reformen für das Land durchzuziehen. Eine stabile Regierung ist fundamental wichtig für Italien – nicht zuletzt, weil wir 2014 den EU-Ratsvorsitz in der EU übernehmen und 2015 dann die Expo bei uns stattfindet." (Gianluca Wallisch  /DER STANDARD, 8.6.2013)