Bild nicht mehr verfügbar.

Die Nummer zwei der lockeren Geldpolitik: Donald Kohn (li.) war bis 2010 der Vize von Ben Bernanke, Chef der US-Notenbank Fed. Er gilt als möglicher Nachfolger.

Foto: reuters/chambers price

STANDARD: Die niedrigen Zinsen haben zuletzt die Aktienmärkte auf neue Rekordhochs getrieben. Davon profitieren nur wenige. Verstärkt die Geldpolitik damit die ökonomische Ungleichheit?

Donald Kohn: Nein. Geldpolitik hat ja verschiedene Einflüsse auf die Ungleichheit. Es ist wahr, dass lockere Politik die Vermögenspreise, etwa Immobilien oder Aktien, unterstützt. Aber vergessen Sie nicht, dass etwa in den USA immerhin 60 Prozent der Bevölkerung Hausbesitzer sind. Aber zudem ist lockere Geldpolitik ein Vermögenstransfer von Gläubigern an die Schuldner, die von den niedrigen Zinsen mehr haben. Und im Schnitt werden Schuldner ja niedrigere Einkommen haben als die Kreditgeber. Zudem hilft die Politik aber arbeitslosen Menschen zurück zu einem Job. Auch das ist gut für Menschen mit niedrigen Einkommen. Die Geldpolitik der Fed ist keine Politik für die Reichen. Im Gegenteil.

STANDARD: Aber selbst nach vier Jahren lockerer Geldpolitik bleibt die Arbeitslosigkeit relativ hoch, das Wachstum moderat.

Kohn: Es braucht immer eine Weile, bis Volkswirtschaften aus Banken- und Finanzkrisen herauskommen. Konsumenten müssen ihre Bilanzen reparieren und Schulden abbauen. Wir sind in die Krise geschlittert mit einem Überhang an Schulden, Immobilien und Autos. Die Konsumenten hatten zu viel Zeug und zu hohe Schulden, um das zu finanzieren. Das muss abgearbeitet werden.

STANDARD: Gibt es da Fortschritte?

Kohn: Die Verschuldungsquoten der Haushalte sind niedriger. Zuletzt haben auch die gestiegenen Immobilien- und Aktienpreise die Vermögensposition vieler Bürger verbessert. Dazu bauen sich die globalen Ungleichgewichte ab. Der Konsum in der Vergangenheit wurde ja zum Teil mit ausländischem Kapital bezahlt. Die USA hatten vor der Krise ein großes Leistungsbilanzdefizit von sechs Prozent des Wirtschaftsprodukts. Das ist auf die Hälfte gefallen. Dieses Ungleichgewicht wurde auch von der künstlichen Absenkung der Währungen in China und Asien gefördert. Die aktuelle Aufwertung des chinesischen Renminbi korrigiert das. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen.

STANDARD: Ist das japanische Szenario einer jahrzehntelangen Stagnation nach einer Immobilienblase schon abgewendet?

Kohn: Auch die USA stecken in einem niedrigen Wachstum von gerade einmal zwei Prozent fest. Das ist überraschend. Seit vier Jahren sind die Zinsen schon negativ, doch erst jetzt nimmt der private Konsum langsam zu.

STANDARD: Japan versucht nun mit einem geldpolitischen Big Bang aus der Krise zu kommen. Wie riskant ist die Strategie?

Kohn: Es wäre gut, wenn Japan es schafft, die Inflationserwartungen zu erhöhen und damit auch den Spielraum der Geldpolitik zu vergrößern. Wenn das Land scheitert, wird es noch viel schwieriger, aus der Klemme zu kommen. Das wäre die größte Gefahr. Wir müssen einfach ein, zwei Jahre abwarten, um die Politik zu beurteilen. Es ist ein faszinierendes geldpolitisches Experiment, dessen Ausgang nicht feststeht. Vielleicht überschießt die Politik auch und erzeugt eine negative Spirale von steigender Inflation.

STANDARD: Auch die US-Notenbank hat massiv Geld in die Wirtschaft gepumpt. Droht große Inflation?

Kohn: Eine steigende Zentralbankgeldmenge führt nicht automatisch zu mehr Geld im Umlauf und nicht automatisch zu steigender Inflation. In den USA hat sich die Basisgeldmenge in den vergangenen vier Jahren mehr als verdoppelt. Im Frühjahr 2009 wurden wir nach der Ankündigung des ersten Anleihenankaufprogramms, QE1, von Wissenschaftern kritisiert, dass jetzt die Inflation komme. Das ist vier Jahre her und bis heute ist nichts passiert. Natürlich muss die Fed irgendwann die Zinsen erhöhen, und Wertpapiere verkaufen. Das zusätzliche Geld ist aber schon seit Jahren da draußen und hat keinen Inflationseffekt gehabt.

STANDARD: Die EZB sieht sich nach wie vor mit akuten Problemen konfrontiert. Was kann sie tun?

Kohn: Die EZB hat eine schwierigere Aufgabe als die Fed. Die EZB muss sich um 17 unterschiedliche Länder kümmern, die Fed nur um eines, und schon das funktioniert nicht immer so, wie es sollte. Nehmen Sie die kleinen und mittelständischen Unternehmen in der Peripherie Europas. Dort kommt die Geldpolitik der EZB nicht an. Die Kreditkanäle sind verstopft.

STANDARD: 2005 diskutierten die Notenbanker in der Fed, ob es einen Immobilienboom gibt oder nicht. Die Conclusio damals war: nein. Ein Fehler?

Kohn: Es gab damals drei Präsentationen. Ein Mitarbeiter rechnete vor, dass die Immo-Preise um 20 Prozent überbewertet waren. Ein New Yorker Kollege argumentierte dagegen. Ein Dritter sagte, dass das Finanzsystem mit fallenden Hauspreisen zurechtkomme. Es ist extrem schwierig, einzuschätzen, wie eine Volkswirtschaft auf so etwas reagiert. Notenbanker sollten demütig bleiben und ihr Wissen nicht überschätzen. (Lukas Sustala, DER STANDARD, 7.6.2013)