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Wird sich das Tribewanted-Völkchen in Umbrien genauso daheim fühlen wie zuvor in Sierra Leone oder in der Südsee? Ja, meinen die Stammesältesten.

Foto: Corbis / Lost Horizon Images

Ein neuer Schuppen wird gebaut unter der Anleitung zweier Experten für Lehmbau.

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Der Schuppen steht hinter der Pferdekoppel.

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Seine ersten Hundstage hat das renovierte Landhaus in Monestevole noch gar nicht erlebt. Auch in Umbrien waren sonnige Tage in diesem Frühling ein rares Geschenk.

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Bei der Olivenernte sind alle mit dabei, die mithelfen wollen.

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Für zwölf Euro im Monat kann jeder Teilhaber eines neuen Unternehmens werden und darf dann online mitentscheiden, wo in der Welt sich Tribewanted künftig niederlassen soll.

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Die Gäste leben sehr komfortabel in Monestevole.

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Anreise & Unterkunft

Zum Beispiel mit Austrian Flug nach Rom oder Florenz. Weiter mit dem Zug nach Terontola-Cortona oder Perugia Ponte San Giovanni. Abholung vom Bahnhof durch Tribewanted; für Nichtmitglieder ab 500 Euro pro Woche und Person

Info: www.tribewanted.com

Grafik: DER STANDARD

Kate aus London war schon vor zwei Jahren in Sierra Leone dabei und erzählt begeistert von den Lehmbauten, die sie errichtet haben. Jetzt will sie für ein paar Tage italienisches Landleben inhalieren.

Eine Welle spülte das Boot an den Strand, wir schleppten unsere Rucksäcke zu den Schilfhütten, in denen wir schlafen sollten. Was uns bis dahin verband, war nur die Onlinecommunity Tribewanted. Ihr Ziel: am Ende der Welt eine nachhaltig wirtschaftende Gemeinde aufzubauen, gemeinsam mit den Einheimischen. Auf der Fidschi-Insel Vorovoro waren wir gegen einen Beitrag "Stammesmitglieder" geworden. Jetzt durften wir für eine Weile am tropischen Strand leben, im Gemüsegarten oder beim Bau einer neuen Hütte helfen. Oder einfach in der Hängematte liegen - wir waren ja nicht nur freiwillige Helfer, sondern auch zahlende Gäste. Die einheimischen Yavusa lehrten uns den Sitztanz Meke und tranken mit uns ihren Rauschpfeffersaft aus Kokosnussschalen. Die Zeremonie endete nach Stunden in sanften Südseeklängen der Ukulele.

Eine tropische Idee in Italien

Fünf Jahre später stehen wir neben dem Tribewanted-Gründer Ben Keene und schauen auf Monestevole, sein aktuelles Projekt. Es liegt in Umbrien, in der Nähe der Kleinstadt Umbertide, wo die Reggia in den Tiber fließt. Ein Landgut mit 47 Hektar Wald, Olivenhainen und Weinberg. Das Haupthaus wächst wie eine kleine Festung aus einem Hügelrücken hervor. Dahinter stehen Arbeiter als kleine bunte Punkte auf einem Acker. "Wir möchten zeigen, dass unsere Idee einer nachhaltigen Gemeinde nicht nur an tropischen Stränden funktioniert", sagt Keene, ein Mann von Anfang dreißig mit rotblonden Haaren und einnehmendem Lächeln. "Wie auf Vorovoro wollen wir auch hier, mitten in Europa, das kulturelle Erbe bewahren und möglichst viel grüne Technologie einsetzen."

Schon kurz nach der Gründung 2006 sorgte Tribewanted für Aufsehen. Eine Onlinegemeinde, die auf einer Südseeinsel zusammenströmt, um etwas Gutes zu tun und es sich dabei gutgehen zu lassen - so etwas hatte es noch nicht gegeben. National Geographic druckte ein Foto des Gründers Keene, wie er auf dem höchsten Punkt von Vorovoro steht, mit Bastumhang und Kriegsbemalung, die BBC sendete eine Doku. Ein zweites Tribewanted-Projekt startete 2009 in der Fischergemeinde John Obey am Strand des sich vom Bürgerkrieg erholenden Sierra Leone. Vor wenigen Wochen folgte dann Monestevole in Italien.

Wir rennen den Hang hinunter zum Haupthaus, die Hügel tragen noch Braun und Grau, auch in Umbrien kommt der Frühling in diesem Jahr spät. In der Küche kocht Valeria Cancian Pilzrisotto für das Mittagessen und röstet Bruschette im dunkelgelben Öl der Oliven von Monestevole. Sie ist eine große Frau, die sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt, weder von ihren vier Kindern noch von ihrem Mann Alessio, von dem sie sagt, er sei ein Vulkan, der regelmäßig ausbrechen müsse. Gemeinsam haben sie Monestevole vor gut 15 Jahren gekauft, damals war es ein Weiler mit einer Ruine. Sie haben alles behutsam renoviert, mehrere Ferienapartments geschaffen und ihren Wohnsitz in Umbertide aufgegeben, um sich hier niederzulassen. "Wir wollen von unserem Land leben wie frühere Generationen, aber mit neuer Technik und mit Touristen", sagt Valeria. Doch mit der Wirtschaftskrise blieben die Gäste aus. Die beiden wollten schon fast aufgeben, als Keenes italienischer Geschäftspartner Filippo Bozotti ihnen vorschlug, mit Tribewanted zu kooperieren.

Valerias Pilzrisotto ist fertig. Ganz Monestevole versammelt sich um den großen Tisch im Speisesaal. Alessio kommt mit den Landarbeitern herein, sie haben am Morgen Zäune gezogen, Ben Keene und Filippo Bozotti setzen sich neben die wenigen Gäste, die zur Eröffnung angereist sind. Kate aus London etwa. Sie war schon vor zwei Jahren in Sierra Leone dabei und erzählt begeistert vom goldenen Sandstrand und den Lehmbauten, die sie dort errichtet haben. Jetzt will sie für ein paar Tage das italienische Landleben inhalieren. "In London sitze ich täglich zehn Stunden am Computer, ich wollte einfach mal wieder näher an der Natur sein", sagt sie. "Hier wirken alle so glücklich mit ihrer Arbeit; das zeigt mir, wie unnatürlich mein Leben geworden ist." Wir trinken Rotwein aus kleinen Gläsern.

Monestevole soll zu einem Bauernhof werden, der Angestellte und Besucher das ganze Jahr über versorgen kann. Schon jetzt gibt es zwanzig Schweine, fünf Pferde und eine Kuh, die jeden Morgen die Milch fürs Müsli liefert. In den kommenden Monaten wird ein organischer Gemüsegarten mit Gewächshaus angelegt. Auch bei der Ressourcennutzung will der Weiler künftig autark sein. Tribewanted hat Solarthermie- und Photovoltaikanlagen installiert, Regenwassertanks und einen Biomasseheizkessel, der mit nachhaltig geschlagenem Holz aus den eigenen Waldstücken befeuert wird. Das Geld dafür stammt von Investoren, die an das Potenzial von Tribewanted glauben. So war es auch möglich, acht Landarbeiter aus Umbertide anzustellen, die in der Werkstatt arbeiten, auf dem Feld oder für die Touristen.

Wie auf Vorovoro können Gäste in Monestevole bei allen Tätigkeiten mitmachen, im Herbst Trauben oder Oliven ernten und Wein oder Öl daraus machen, im Winter vom Fleischhauer Allegro Merli lernen, wie man Schweine schlachtet und fettige Pancetta herstellt. Jeden Morgen schreibt Filippo Bozotti die Aktivitäten des Tages auf eine Tafel, die im Gang vor dem Speisesaal hängt. "Wir haben uns für Monestevole entschieden, weil es hier eine lebendige Gemeinschaft gibt", sagt er. Für den 32-Jährigen, der bei Mailand geboren wurde und zuletzt in New York und am Strand von Sierra Leone lebte, ist Monestevole ein Lebensprojekt. Hier will er heiraten, ein Erdhaus bauen, Kinder zeugen und unter einem Kirschbaum begraben werden.

In den Frühlingstagen nach der Eröffnung gibt es noch nicht viel zu tun. Wir setzen ein paar Erdbeerpflänzchen, wandern durch die zögerlich erwachende Natur und besuchen den Winzer Francesco Ginebro. Mit innerer Gewissheit schneidet er die alten, knorrigen Zweige ab und bindet die jungen Triebe mit Weidenruten am Spalier fest. Wir schauen zu, wie er von Rebstock zu Rebstock geht, während schnelle Wolken über ihn hinwegziehen, aufreißen und wärmende Sonnenstrahlen durchlassen. Dann genießen wir wieder die Annehmlichkeiten von Monestevole: das gute Essen und komfortable Zimmer. Auf Vorovoro haben wir uns mit einem Eimer voll Wasser begossen. Hier haben wir eigene Duschen mit handbemalten Fliesen. Tribewanted, so scheint es, ist erwachsen geworden.

Abends fährt uns Alessio nach Umbertide, sein Land Rover röhrt bei jedem Bremsen. Im Ort dreht er vier Runden im Kreisverkehr und parkt dann vor einem Gasthaus halb auf der Fahrspur. Eine Cousine feiert Geburtstag, es gibt Prosecco, und zwei Stunden später sitzen wir mit der Festgesellschaft im Restaurant von Alessios Tante, trinken Rotwein und essen Antipasti. Jemand spielt Akkordeon, es wird gejohlt und zwischen den Tischen getanzt - wir sind Teil einer italienischen Familienfeier.

In den Tagen in Umbrien müssen wir immer wieder an Vorovoro denken, an den alten Epeli etwa, mit dem wir Bambusstangen abhackten für eine neue Hütte. Oder an Chief Tui Mali, dem wir bei den Zeremonien seinen Rauschpfeffersaft reichten. Tribewanted in Monestevole ist völlig anders, doch es scheint, dass die Idee auch in einem Land funktioniert, von dem man dachte, man würde es kennen. Es ist nicht der übliche Urlaub auf dem Bauernhof. Wir teilen Tisch und Küche mit unseren Gastgebern und sind dabei, wenn Alessio mit seinen Freunden Musik macht und sich am Schlagzeug austobt, während Giovanni Ciampi, einer der Arbeiter, den E-Bass zupft. Da braucht es keine Ukulele.

Vorovoro wurde von Tribewanted vor zwei Jahren aufgegeben, weil der Pachtvertrag auslief und die Regierung für eine 15-jährige Verlängerung, die mit dem Yavusa-Stamm bereits vereinbart war, zwei Drittel der Raten vorab verlangte.

Im dritten Jahr selbsttragend

In Sierra Leone schaut's anders aus. Dort haben Keene und Bozotti mit der Fischergemeinde John Obey gleich einen Vertrag über 15 Jahre ausgehandelt und mit Mitgliedsbeiträgen und eigenem Geld eine touristische Infrastruktur geschaffen. Heute verdienen mehr als 20 Einheimische ihren Lebensunterhalt mit dem Projekt, sie organisieren sich weitgehend selbst. Im dritten Jahr trägt sich das Projekt schon beinahe selbst.

Jetzt wollen die Macher von Tribewanted eine verbindlichere Grundlage schaffen, um bestehende und auch zukünftige Projekte zu finanzieren. Für zwölf Euro im Monat kann jeder Teilhaber eines neu gegründeten gemeinnützigen Unternehmens werden und darf dann online mitentscheiden, wo in der Welt sich Tribewanted künftig niederlassen soll. Ziel ist ein Netzwerk von zehn Ökotourismusprojekten weltweit, im Gespräch sind bereits Detroit, Schottland, Panama oder Laos.

Wer den Mitgliedsbeitrag zahlt, leistet zugleich eine Anzahlung auf kommende Urlaube in einer der Gemeinden. Drei Wochen nach der Eröffnung von Monestevole haben sich 154 Leute angemeldet; bei 300 reicht es für eine neue Komposttoilette in Sierra Leone, bei 500 für eine Windturbine in Italien. Sind es 2000, können beide Projekte dauerhaft unterstützt werden, jeweils die nächsten 1000 ermöglichen die Gründung einer neuen Tribewanted-Gemeinde.

Am Tag vor unserer Abreise beginnt die Arbeit an einem neuen Schuppen hinter der Pferdekoppel. Alle helfen mit, zwei Experten für Lehmbau leiten die Arbeit. Wir picken Lehmbatzen auf eine mit Stroh gefüllte Wand und streichen sie mit der flachen Hand glatt. Filippo Bozotti hockt vor einem Metallbottich und knetet inbrünstig Stroh und Lehm, Alessio wirbelt umher und plant noch schnell ein Fenster mit Blick zum Olivenhain ein.

Die Sonne steht tief, als der Weinbauer mit einem großen Plutzer voller Weißwein übers Feld gerannt kommt. Wir stoßen an: auf unsere Arbeit, auf die unvollendete Lehmwand, auf das Leben. Alessio schäumt über vor Freude, leert sein Glas in einem Zug und umarmt seine Pferde. Vielleicht ist es das, was Tribewanted ausmacht, man fühlt sich als Teil einer Gemeinschaft, die so lebt, wie man es selbst manchmal auch gern würde. Zum Beispiel in Italien. (Mirco Lomoth, DER STANDARD, Rondo, 7.6.2013)