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Demonstration gegen das US-Gefangenenlager Guantanamo vor dem Weißen Haus in Washington.

Foto: REUTERS/Joshua Roberts

Djamel Ameziane als junger Mann auf einer undatierten Aufnahme. Der heute 46-jährige Algerier ist seit 2002 in Guantanamo inhaftiert.

Foto: privat
Quelle: j. wells dixon

In Haft hat Ameziane begonnen zu malen. Seit er im Hungerstreik ist, wurden ihm seine Malutensilien abgenommen.

Foto: j. wells dixon

Seit mehr als zehn Jahren ist der 46-jährige Algerier Djamel Ameziane im US-Gefangenenlager Guantanamo inhaftiert. Er ist einer der mehr als hundert Häftlinge, die sich derzeit im Hungerstreik befinden. Alle Anschuldigungen gegen ihn wurden mittlerweile fallengelassen. Für die USA gibt es demnach keinen Grund mehr, ihn festzuhalten, trotzdem kann er das Gefangenenlager auf der US-Basis auf Kuba nicht verlassen. Denn aus Angst vor politischer Verfolgung in Algerien will Ameziane nicht in sein Heimatland zurückkehren, das er Anfang der 1990er Jahre verlassen hat.

Sein Weg führte ihn über Österreich, wo er zuletzt als Koch in einem italienischen Restaurant im ersten Wiener Gemeindebezirk arbeitete, nach Kanada. Als dort sein Asylgesuch abgelehnt wurde, reiste er nach Afghanistan. Dann krachten am 11. September 2001 zwei Flugzeuge in die Türme des World Trade Center in New York. Kurz danach begann die US-Invasion in Afghanistan. Erneut war Ameziane auf der Flucht. An der Grenze zu Pakistan wurde er gestoppt und den US-Truppen übergeben. 2002 wurde er nach Guantanamo überstellt.

Im Gespräch mit derStandard.at spricht sein Anwalt J. Wells Dixon über Djamel Amezianes Kampf um seine Freiheit.

derStandard.at: Wie lauteten die Anschuldigungen gegen Djamel Ameziane bei seiner Inhaftierung 2001?

Dixon: Nach der Ablehnung seines Asylantrages in Kanada reiste er nach Afghanistan. Zu Beginn der US-Invasion in Afghanistan nach 9/11 versuchten Zehntausende, das Land zu verlassen, um Krieg und Verfolgung zu entkommen - unter ihnen war auch Ameziane. Er wurde an der pakistanisch-afghanischen Grenze aufgegriffen und an die US-Truppen ausgeliefert. Der einzige Vorwurf gegen ihn war damals, dass er mit gefälschten Reisedokumenten nach Afghanistan eingereist war und zwei Wochen in einem Gästehaus geblieben war, das unter dem diffusen Verdacht stand, auch Al-Kaida Unterschlupf zu bieten. Kurz nach seiner Festnahme wurde er nach Guantanamo gebracht. Von den Vorwürfen ist nichts übrig geblieben. Sowohl die Regierung unter Bush als auch die Regierung unter Obama hat bestätigt, dass es für seine Inhaftierung keinen Grund mehr gibt. Um auf seine ausweglose Lage aufmerksam zu machen, ist er so wie viele andere seit Februar im Hungerstreik.

derStandard.at: Wie geht es Ameziane derzeit gesundheitlich?

Dixon: Nicht gut. In einem Brief vom 19. Mai hat er mir geschrieben, dass er mittlerweile rund 30 Kilo verloren hat. Er erzählt auch von einem Selbstmordversuch eines anderen Häftlings. Aufgrund seines Gewichtsverlusts und des sich deswegen verschlechternden allgemeinen Gesundheitszustands hat er mittlerweile begonnen, ein wenig Nahrung zu sich zu nehmen. Er ist zwar weiterhin im Hungerstreik, versucht aber, sich auf diesem niedrigen Niveau zu stabilisieren. Derzeit wird ihm auch mit Zwangsernährung gedroht.

derStandard.at: Hat sich seit der Amtsübernahme von US-Präsident Obama die Situation in Guantanamo verändert?

Dixon: Kurz nach Obamas Amtsantritt haben sich die Haftbedingungen in Guantanamo verbessert. Obama hat die Isolationshaft für die meisten Gefangenen beendet und damit mehr Kontakt zwischen den Inhaftierten ermöglicht. Der Zugang zu Anwälten und Familien wurde ebenfalls erleichtert. Es war einfach eine ein wenig humanere Umgebung - so human es eben innerhalb Guantanamos möglich ist.

Obama war zu Beginn seiner Amtszeit sehr ambitioniert: Er versprach, das Gefängnis innerhalb eines Jahres zu schließen. Er hat 75 Personen aus Guantanamo transferiert. Allerdings hat er zwischen 2009 und 2010 an Entschlusskraft verloren. Diese Entwicklung hat die Inhaftierten in Guantanamo sehr frustriert. Diese erneute Hoffnungslosigkeit hat schlussendlich zum Hungerstreik geführt.

derStandard.at: Hat es einen speziellen Auslöser für den Beginn des Hungerstreiks gegeben?

Dixon: Im Februar gab es Durchsuchungen bei den Häftlingen. Der Grund dafür war ein Wechsel der Wachmannschaft. Während dieser Durchsuchungen wurden nicht nur persönliche Habseligkeiten der Inhaftierten konfisziert, sondern auch ihre Ausgaben des Korans misshandelt. Diese Vorgehensweise hat den Hungerstreik ausgelöst, an dem sich auch Ameziane seit Beginn beteiligt.

derStandard.at: Haben die Inhaftierten Kontakt zueinander?

Dixon: Die oft gezeigten Bilder von Guantanamo mit den Häftlingen in den offenen Käfigen stammen aus den Anfangszeiten des Gefängnisses. Im Laufe der Zeit haben sich die Haftbedingungen graduell verbessert. Als ich 2006 die Vertretung von Ameziane übernahm, waren die Gefangenen einzeln in Hochsicherheitszellen untergebracht. Es gab eine Gemeinschaftszone, die allerdings nicht genutzt wurde. Als Obama Präsident wurde, war eine seiner Hafterleichterungen, dass er den Häftlingen erlaubte, sich in diesen Zonen zu treffen. Mit Beginn des Hungerstreiks sind diese Verbesserungen allerdings wieder rückgängig gemacht worden. Aufgrund des Hungerstreiks sind die Gefangenen derzeit in Isolationshaft.

derStandard.at: Was bedeutet Isolationshaft konkret?

Dixon: Djamel Ameziane lebt 22 Stunden am Tag in einem rund zehn Quadratmeter großen Raum. Keine Bücher, kein Papier, nichts. Wenn er mir einen Brief schreiben will, muss er zuerst um Papier und Stift bitten.

Die beiden übrigen Stunden sollten zur sogenannten Erholung genutzt werden. Erholung heißt in diesem Zusammenhang, in einem kleinen Hof gemeinsam mit einem zweiten Häftling auf und ab zu gehen. Zwischen den beiden Häftlingen patrouilliert eine Wache. Außerdem sind die Zeiten für diese kurzen Aufenthalte an der frischen Luft nicht jeden Tag gleich. Es kann passieren, dass die Wachen um 3 Uhr nachts in die Zelle kommen und diese Art von Erholung anbieten. Dieses Angebot hat Ameziane verständlicherweise auch schon ausgeschlagen.

derStandard.at: Sollte es in Guantanamo zu einem Todesfall aufgrund des Hungerstreiks kommen, welche Auswirkungen erwarten Sie sich auf die Debatte über das Gefangenenlager?

Dixon: Die Verzweiflung der Männer in Guantanamo ist gestiegen, nachdem sie gesehen haben, dass auch Obama kaum etwas an ihrer Situation verbessert hat. Das trifft auch auf Ameziane zu. Er weiß einfach nicht, was er sonst noch machen soll, um aus dem Gefängnis zu kommen. Dieser Streik hat die öffentlichen Aufmerksamkeit wieder auf Guantanamo gelenkt und Obama dazu gebracht, die Schließung des Gefängnisses bei einer Rede Mitte Mai erneut zu befürworten. Ich denke, die Angst vor einem Todesfall in Guantanamo hat diese Aussagen befördert.

derStandard.at: Was steht der Freilassung Amezianes noch im Weg?

Dixon: Ameziane wurde schon zweimal von allen Vorwürfen gegen ihn freigesprochen - sowohl von der US-Regierung unter Bush als auch von der Obama-Regierung. Das Militär hat also zweimal bestätigt, dass es keinen Grund mehr gibt, ihn festzuhalten. Von den insgesamt 166 in Guantanamo Inhaftierten könnten 86 in ein anderes Land transferiert werden. Obama hätte die Kompetenz, das zu veranlassen. Bisher fehlt ihm allerdings der politische Wille zur Umsetzung. Von den 86 Häftlingen können lediglich ungefähr zwölf nicht in ihr Heimatland zurückkehren. Darunter auch Djamel Ameziane, der sich vor politischer Verfolgung in seinem Heimatland Algerien fürchtet. Amezianes derzeit einzige Chance, von Guantanamo wegzukommen, ist die Aufnahme durch einen anderen Staat.

derStandard.at: Gibt es aktuell Bemühungen, Österreich zu einer Aufnahme Amezianes zu bewegen?

Dixon: Wir wären natürlich erfreut, wenn sich Österreich dazu bereiterklären würde - auch weil er schon einige Jahre in diesem Land verbracht hat. Derzeit gibt es allerdings keine formelle Anfrage dazu. (Michaela Kampl, derStandard.at, 6.6.2013)