Bild nicht mehr verfügbar.

Ein Kämpfer der Free Syrian Army Ende Jänner in Mleha, einem Vorort von Damaskus. Nach den Erkenntnissen der UN-Kommission wurden auch in der Provinz Damaskus Chemiewaffen eingesetzt.

Foto: Reuters/Tomasevic

Lange hegten die Ermittler der Vereinten Nationen nur einen schweren Verdacht. Jetzt sind sie sich so gut wie sicher: Konflikt­parteien im syrischen Bürgerkrieg haben die weltweit geächteten Chemiewaffen mindestens viermal eingesetzt.

Am Dienstag erklärte der Vor­sitzende der Uno-Untersuchungskommission zu Syrien, Paulo Sérgio Pinheiro, in Genf, sein Team verfüge über hinreichende Anhaltspunkte, die auf einen Gebrauch der mörderischen Sub­stan­zen schließen lassen. Pinheiro legte dem Uno-Menschenrechtsrat einen neuen Bericht über die Gewalt in Syrien vor. Danach schlittert das Land immer tiefer in die Barbarei. "Der Konflikt hat neue Stadien der Brutalität erreicht", warnte der brasilianische Jurist. Allein in der Berichtszeit vom 15. Jänner bis zum 15. Mai dieses Jahres zählten die Ermittler 17 potenzielle Massaker.

Mehrheitlich mordeten Regierungstruppen, die Opfer waren zumeist wehrlose Zivilisten. Angriffe mit chemischen Kampfstoffen ereigneten sich laut den Ermittlern in vier Ortschaften zwischen dem 19. März und dem 29. April: zweimal in der Provinz Aleppo, jeweils einmal in der Provinz Damaskus und in der Provinz Idlib. Die Mehrzahl der Attacken mit "begrenzten Mengen" an toxischen Stoffen geht nach den Erkenntnissen auf das Konto der Regierung. Kommissionschef Pinheiro betonte jedoch: Es liegen auch Beschuldigungen gegen Rebellen vor.

Die USA, Großbritannien und Frankreich hatten wiederholt das Assad-Regime vor dem Einsatz von Chemiewaffen gewarnt. Der Gebrauch der Giftsubstanzen könne ein militärisches Eingreifen nach sich ziehen, drohten die westlichen Mächte. US-Präsident Barack Obama nannte den Einsatz von Chemiewaffen eine "rote Linie", wertete die bisherigen Hinweise als zu vage. Das ­Völkerrecht kategorisiert den Einsatz von Giftgasen als Kriegsverbrechen.

Substanzen nicht identifiziert

Pinheiro räumte ein, dass er die verwendeten Kampfstoffe nicht benennen könne. Zudem sei es noch unmöglich, die Täter zu identi­fizieren. Man müsse an Ort und Stelle ermitteln.

Das Assad-Regime verweigert aber dem Pinheiro-Team, dem auch die frühere Chefanklägerin des Jugoslawientribunals, Carla Del Ponte, angehört, die Einreise. Zudem dürfen weitere Uno-Experten, die Chemiewaffeneinsätze untersuchen sollen, nicht in das Land. Die Pinheiro-Kommission stützt ihren jüngsten Syrien-Bericht vor allem auf 430 Interviews. Befragt wurden Flüchtlinge und medizinisches Personal.

Die französische Regierung sieht indes in mindestens einem Fall den Einsatz des Giftgases Sarin durch die Staatsführung in Syrien als erwiesen an. Es gebe "keinen Zweifel", dass Sarin in einem Fall durch "das Regime und seine Komplizen" eingesetzt wurde, sagte Außenminister Laurent Fabius am Dienstagabend. Die US-Regierung dagegen reagierte zurückhaltend. Es müssten weitere Beweise gesammelt werden, wer für den wahrscheinlichen Gebrauch von Chemiewaffen verantwortlich und unter welchen Umständen dies erfolgt sei, hieß es.

Wie kann das Blutvergießen gestoppt werden? Pinheiro ist sich sicher: Nur vermehrte "diplomatische Anstrengungen" helfen. Eine Chance dazu bietet die geplante Syrien-Konferenz in Genf. Am Mittwoch wollen Vertreter Washingtons, Moskaus und der Uno in der Diplomatenstadt über das mögliche Treffen beraten. Nur: Wann die Syrien-Konferenz stattfinden soll und wer überhaupt teilnehmen darf, das steht noch nicht fest. (DER STANDARD, 5.6.2013)