Sabine Azéma im Kreis des Star-Ensembles von Alain Resnais' "Ihr werdet euch noch wundern".

Foto: Thimfilm

Wien - Ihr werdet euch noch wundern / Vous n'avez encore rien vu, der jüngste Film des französischen Altmeisters Alain Resnais, beginnt mit einer Reihe von Anrufen bei namhaften Schauspielern. Sie alle werden sich bald darauf im Haus eines Dramatikers versammeln, um diesem seinen letzten Wunsch zu erfüllen. Denn sie alle haben in Aufführungen seines Stücks Eurydike mitgewirkt. Nun werden sie noch einmal mit dem Stoff konfrontiert - und sind bald mittendrin in einem Spiel, in dem sich die Grenzen zwischen Leben und Kunst, zwischen Gegenwart und Vergangenheit, Erinnerung und Projektion aufs Schönste verwischen. Teil des Allstar- Ensembles, zu dem Michel Piccoli, Pierre Arditi, Mathieu Amalric und andere gehören und die alle unter ihrem richtigen Namen auftreten, ist auch die immer quirlige Sabine Azéma - seit dreißig Jahren, seit La vie est un roman, eine fixe Größe im OEuvre des inzwischen 91-jährigen Resnais und auch seine Partnerin im Leben.

Standard: In "Ihr werdet euch noch wundern" spielt die Erinnerung an eine geteilte Vergangenheit eine zentrale Rolle - hat Sie das speziell berührt?

Azéma: Ja, wir spielen mit allem, was wir im Gepäck haben. Ich habe eine lange gemeinsame Vergangenheit mit Resnais, aber auch mit meinem Kollegen Pierre Arditi. Das hat zu einer besonderen Form des Spiels geführt, bei der ich oft gar nicht das Gefühl hatte zu spielen. Man kann sich und einander schließlich nicht völlig vergessen, über unsere gemeinsamen Filme hinweg erstreckt sich ja gewissermaßen ein ganzes Leben. Und ich liebe mein Metier leidenschaftlich, aber vor allem liebe ich daran die Begegnung mit Menschen. Zu Anfang dachte ich, dass es mir gefallen würde, von einem Universum in ein anderes zu wechseln, von einem Regisseur zum nächsten. Inzwischen habe ich gelernt, dass man nicht überall gut, entspannt, glücklich sein kann. Das Kino ist weitläufig, es gibt unterschiedliche Familien, mit unterschiedlichen Arten, die Dinge zu tun - manchmal auch in Opposition zueinander.

Standard: Der Film hat auch eine musikalische Qualität, etwa wenn Sie mit Ihrer Kollegin Anne Consigny in Dialog treten, dann hat das etwas von einem Duett. Entwickeln sich solche Effekte am Set?

Azéma: Resnais sagt immer, dass er Schauspieler wegen ihrer Stimmen besetzt. Er stellt sie danach zusammen, ob ihre Stimmen zueinanderpassen - es ist fast wie die Zusammensetzung eines Orchesters. Ihm ist das extrem wichtig, aber während des Drehs spielt es für mich und die anderen Akteure dann keine große Rolle mehr.

Standard: Der Titel des Films ist eine Provokation und ein Versprechen zugleich - wo kommt er her?

Azéma: Von Resnais - er hat auch eine maliziöse Seite! Der Titel ist witzig, und ich glaube, dass er ihn schon öfter für Projekte verwendet hat, solange er den richtigen Titel noch nicht wusste. Aber diesmal hat er ihn behalten. Und die Aussage richtet sich durchaus auch an ihn selber.

Standard: Sie haben Arbeitsfamilien erwähnt - gab es außer der Resnais- Familie noch andere?

Azéma: Jean Anouilh - der ja auch Eurydike geschrieben hat! Er war der Erste, der mich engagiert hat, unmittelbar nach dem Konservatorium, an der Comédie des Champs-Elysées. Ich hatte einen Freund begleitet, der mich dem Direktor vorstellte, Claude Sainval, der übrigens seinerseits in Resnais' Muriel gespielt hatte. Sainval sah mich an: "Sind Sie Schauspielerin? Dann kommen Sie am Nachmittag, wir beginnen mit den Proben zu Der Walzer der Toreros von Anouilh, er selbst wird inszenieren." Ich habe mir schnell den Text gekauft, und hopp - am Nachmittag war ich engagiert. Mit Anouilh habe ich mich sehr gut verstanden, er war "untröstlich fröhlich" - was nicht unbedingt glücklich bedeutet. Danach kam Resnais, auch er ist sehr sanft, freundlich. Und ich brauche das, wenn ich spiele. Andere wollen den Kampf, mir liegt das nicht.

Standard: Erinnern Sie sich noch an Ihr erstes Treffen mit Resnais?

Azéma: Natürlich! Ich war schwer erkältet! Aber zuerst hat er angerufen, sich vorgestellt, er sei Regisseur - als ob ich nicht gewusst hätte, wer er ist. Wir haben uns getroffen. Ich hatte zwanzig Fotos mit, und er nahm 19. Er hatte wohl schon vor, mich zu engagieren. Und er sagte, vielleicht wird Arditi mitspielen. So hat es also angefangen, und ich wusste irgendwie, dass es bedeutsam war.

Standard: Was ist für Sie die wichtigste Eigenschaft von Resnais als Regisseur?

Azéma: Seine Klarheit. Er sagt ein, zwei, drei Worte zu mir, und ich habe es verstanden. Er ist klar, präzise, bumm, bumm - es ist rot, es ist gelb. Man verbringt nicht Stunden, um eine Figur zu erklären, wie sie die Arme hebt oder den Kopf dreht. Außerdem ist er etwas Besonderes, Spezielles. Er leitet einen an, während des Drehs weiß man: Er führt uns, und es wird eine schöne Reise werden. Die Liste der Dinge, die ich sagen könnte, ist lang - er ist tolerant, er hat Größe. Ich muss aufhören, sonst wird es zu schwelgerisch. Er lebt fürs Theater, fürs Kino.

Standard: Welche Ihrer Filme abseits des Resnais'schen Werks sind Ihnen wichtig?

Azéma: Was ich mochte, war, von einem Universum in ein völlig anderes zu gehen: die Filme von Etienne Chatillez, von Denis Podalydès, von den Brüdern Arnaud und Jean-Marie Larrieu. In den Bergen zu drehen statt im Studio in Paris, andere Ambiente zu entdecken. Für mich geht es nicht nur ums Drehen, das Leben und das Schauspiel mischen sich bei mir immer, ich entdecke andere Arten zu leben, andere Möglichkeiten zu sein - das hat mir gefallen und mich auch geprägt. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 4.6.2013)