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In Indien organisieren sich immer mehr Frauen, die sexuelle Gewalt nicht mehr akzeptieren wollen, in den "Roten Brigaden".

Foto: REUTERS/Mansi Thapliyal

Neu-Delhi - Sie tragen blutrote T-Shirts und blasen zum Angriff gegen sexuelle Gewalttäter: Frustriert von der patriarchalen Kultur Indiens und allein gelassen von den Behörden gehen Dutzende Frauen im Bundesstaat Uttar Pradesh zur Selbstjustiz über. Seit der tödlichen Gruppenvergewaltigung einer 23-jährigen Studentin in Neu-Delhi im Dezember stieg die Mitgliederzahl der Roten Brigaden von 15 sprunghaft auf mehr als 100. So manchen Mann haben sie schon das Fürchten gelernt.

Wut der Frauen

"Der Überfall in Delhi hat uns so wütend gemacht", sagt Brigaden-Anführerin Usha Vishwakarma. "Viele junge Frauen kamen und wollten helfen, etwas zu verändern, sodass niemand mehr leiden muss wie sie." Die 25-Jährige gründete die Gruppe vor zwei Jahren. Damals musste sie mit ansehen, wie viele ihrer Freundinnen aus Furcht vor sexuellen Übergriffen gezwungen waren, ihr Studium aufzugeben. Manche trauten sich nicht einmal mehr aus dem Haus, aus Angst, verfolgt, begrapscht oder überfallen zu werden. "Uns wurde gesagt, wir sollten zuhause bleiben, um Männern aus dem Weg zu gehen", berichtet Vishwakarma.

Die staatliche Kriminalitätsstatistik für 2011 weist fast 230.000 Verbrechen an Frauen aus, doch vermutlich ist die Dunkelziffer deutlich höher. Oft zeigen die Opfer aus Angst vor sozialer Stigmatisierung sexuellen Missbrauch nicht an, zudem gilt vielerorts die Polizei als korrupt.

Die 16-jährige Schülerin Afreen Khan machte daher kurzen Prozess, als sie die täglichen Belästigungen leid war. Einige Buben hatte ihr regelmäßig hinterher gepfiffen und ordinäre Bemerkungen über ihre Brüste gemacht, bis eines Tages einer von ihnen handgreiflich wurde. "Ich drehte mich um, schnappte den Baseballschläger, den er bei sich hatte, und schlug ihn zusammen", berichtet Khan. "Als ich ihn am nächsten Tag wieder traf, flüchtete er, bevor ich etwas sagen konnte."

Behörden beobachten kritisch

Selbstvertrauen gewinnen die Frauen durch die Selbstverteidigungskurse, die sie seit der Vergewaltigung von Neu-Delhi besuchen. In einer spartanisch eingerichteten Kampfsportschule in der Regionalhauptstadt Lucknow erklärt die 17-jährige Preeti Verma, wie man einen "Angreifer in die empfindlichen Stellen trifft". Neulich attackierte sie mit anderen Frauen eine Gruppe von Buben, die eine Teenagerin verfolgten und ihr vulgäre Textnachrichten schickten. "Wir haben den Kerl hochgehoben und ihn mit unseren Sandalen verprügelt. Er rannte davon und versprach, sie nicht mehr zu belästigen."

Bisher wurden die Roten Brigaden noch nicht rechtlich belangt, doch die Behörden beobachten sie kritisch. "Wir fördern solche Selbstjustiz-Gruppen nicht", sagt der zuständige Generalinspektor von Uttar Pradesh, R.K. Vishwakarma. "Man kann nicht auf diese Weise Rache nehmen." Bei älteren Männern in der Gemeinde trifft die Selbstjustiz der Frauen dagegen auf unerwartete Zustimmung. Der vierfache Vater Ram Avatar Singh findet, die Gruppe "weist den Weg" für andere Mädchen.

Polizei weiterhin nachlässig

Der jüngste Fall, dessen sich die Brigaden annahmen, war der einer 13-Jährigen. "Ich war hinaus gegangen, um Wasser zu holen, als sich ein Bub aus der Nachbarschaft auf mich stürzte, mich in die Felder schleppte und vergewaltigte", berichtet das Mädchen. Die Polizei glaubte ihr nicht und stufte den Fall als Belästigung ein - trotz neuer Gesetze, wonach die Behörden Vergewaltigungsvorwürfen nachgehen müssen. Erst als ihre Familie protestierte, wurde der 19-jährige mutmaßliche Täter festgenommen. Eine medizinische Untersuchung bestätigte die Vergewaltigung. Das Opfer ist nun Mitglied der Roten Brigaden. (APA/red, dieStandard.at, 3.6.2013)