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Demonstranten fordern die Freilassung von Bradley Manning. Am Montag beginnt der Prozess gegen den Soldaten, der Geheimdokumente an Wikileaks weitergegeben haben soll.

Foto: Reuters/Ernst

Wer die Wahrheit aufdeckt, auch wenn er dafür seine Schweigepflicht verletzt, der ist für Daniel Ellsberg ein Held. Auch Bradley Manning. Es ist 42 Jahre her, da kopierte Ellsberg, Mitarbeiter eines eng mit dem US-Militär verbundenen Instituts, die Pentagon-Papiere, um sie der "New York Times" zuzuspielen. 7000 Seiten geheimer Analysen, die belegten, dass Amerikas Politiker den Krieg in Vietnam für verloren hielten, mochten sie in Reden auch das Gegenteil behaupten. Genau wie er, schreibt Ellsberg in einem Appell, habe Manning der Öffentlichkeit die Augen geöffnet. "So wie ich verhaftet und von Richard Nixon als Verräter beschimpft wurde, wird Bradley angeklagt, dem Feind geholfen zu haben."

Hilfe für den Feind

Der alte Mann debattiert in Geschichtsforen, er demonstriert vor der Kaserne Fort Meade, wo der Abhörgeheimdienst NSA angesiedelt ist und wo am Montag nach anderthalbjährigen Anhörungen der Prozess gegen Manning beginnen soll. Ellsberg möchte erreichen, dass der junge Gefreite genauso vollständig entlastet wird wie er, der Whistleblower des Vietnamkriegs. Die Kläger wiederum wollen den 25-Jährigen lebenslang hinter Gitter bringen. Auf den gravierendsten ihrer Vorwürfe, Hilfe für den Feind, kann die Todesstrafe stehen, auch wenn bereits feststeht, dass sie nicht beantragt wird.

Hilfe für den Feind - dazu muss das Militär nachweisen, dass Manning klar war, dass er feindliche Mächte begünstigte, als er Wikileaks diplomatische Depeschen zuspielte. In diesem Fall eine nichtstaatliche, eher diffuse Macht, Osama Bin Ladens Al-Kaida. Ein Kronzeuge soll es belegen, einer der Navy Seals, die das Anwesen Bin Ladens in Abbottabad stürmten. Als der Kommandotrupp die pakistanische Stadt wieder verließ, hatte er das elektronische Archiv des Getöteten an Bord, Festplatten, CDs und so weiter. Angeblich fand sich darin ein Brief, in dem der Pate des Terrors einen Untergebenen auffordert, aus der Wikileaks-Fundgrube zu schöpfen. Besagter Elitesoldat, vorläufig nur John Doe genannt, das englische Pendant zu Max Mustermann, soll irgendwann im Laufe des Verfahrens davon erzählen, vermutlich getarnt.

Unterschiedliche Versionen

Den Bogen von Manning zu Bin Laden zu spannen, für Sympathisanten wie Ellsberg grenzt es ans Absurde. Ohnehin prallen in Fort Meade zwei Welten aufeinander, zwei grundverschieden erzählte Geschichten. Für die einen ist der kleingewachsene, introvertiert wirkende Computernarr ein Patriot, der mutig seine moralische Pflicht tat, als er die finsteren Seiten des Krieges in grelles Licht tauchte. Für die anderen ist er einfach nur ein Verlierer, der nach Aufmerksamkeit lechzte. Ein Hadernder, der sich unwohl fühlte in seiner Haut und lieber eine Frau sein wollte. Ein schmächtiger Bursche, den seine Ausbilder schikanierten und der sich rächte, indem er geheime Daten verriet.

Gegen Geheimdiplomatie Manning hat als Motiv die Überzeugung genannt, dass er "den Nebel des Krieges beseitigen" müsse. Wisse das Publikum erst Bescheid, könnte eine Debatte beginnen, "über die Rolle des Militärs und unsere Außenpolitik generell", gab er im Jänner in einer Erklärung zur Protokoll. Mit Woodrow Wilson zitierte er einen amerikanischen Präsidenten, der in der Geheimdiplomatie eine der Ursachen des Ersten Weltkrieges sah: Die Welt wäre besser dran, würden Staaten keine geheimen Abmachungen treffen.

SIPRNet

Wie der Wikileaks-Plan in seinem Kopf reifte, auch das hat Manning in allen Details dargelegt. Im Camp Hammer, einer Militärbasis bei Bagdad, hatte er unbeschränkten Zugriff auf SIPRNet, ein Netzwerk, mit dessen Hilfe sowohl das Militär als auch die Botschaften der USA kommunizierten. Im Oktober 2009 ins Zweistromland verlegt, saß er tage- und nächtelang vor dem Computer, um vertrauliche Verschlusssachen zu lesen, und bald kopierte er heimlich brisante Dateien. Im nächsten Heimaturlaub, nachdem ein Freund mit ihm Schluss gemacht hatte, er mitten im Schneesturm im Haus einer Tante hockte und unentwegt grübelte, beschloss er, das Material einer Zeitung zuzuspielen. Bei der "Washington Post" wurde er höflich abgewimmelt, bei der "New York Times" landete er auf einem Anrufbeantworter, ohne dass jemand zurückrief.

Erst danach, so schildert es Manning, klickte er auf der Wikileaks-Website auf den Menüpunkt "Dokumente einreichen". Dort grub er ein Video aus, mit dem Julian Assange zum ersten Mal wirklich für Furore sorgte. Es zeigt, wie die Besatzung zweier Apache-Hubschrauber in Bagdad Raketen abfeuert und 13 Iraker tötet, unter ihnen einen Fotografen der Nachrichtenagentur Reuters, dessen Kamera die GIs mit einer Waffe verwechseln. "Hübsch, gut geschossen", sagt ein Soldat über Funk. Und: "Schau, diese toten Bastarde." Das Alarmierendste, so Manning, sei die Freude der Beteiligten am Töten gewesen, "der Blutrausch, in den sie sich hineinzusteigern schienen". (Frank Herrmann aus Washington, DER STANDARD 3.6.2013)