Bild nicht mehr verfügbar.

Verhaltensforscher Konrad Lorenz gewann vor vierzig Jahren gemeinsam mit Karl von Frisch den Nobelpreis für Medizin.

Foto: APA/dpa

Wer weiß, vielleicht klappt es dieses Jahr wieder. Ein paar hochgehandelte Kandidaten gäbe es jedenfalls. Wenn nicht, dann würde es sich Anfang Oktober zum 40. Male in Folge wiederholen, dass Österreich bei der Verleihung der wissenschaftlichen Nobelpreise leer ausgeht. Zählt man den Wirtschaftsnobelpreis dazu, dann wären es nur 39 Jahre. 1973 wurden gleich zwei Österreicher in den Olymp der Forschung aufgenommen: Karl von Frisch, der Entdecker der Bienensprache, und Konrad Lorenz, der Mitbegründer der Verhaltensforschung, erhielten den wichtigsten Wissenschaftspreis der Welt in der Kategorie Medizin. Im Jahr darauf folgte dann noch der ultraliberale Ökonom August von Hayek, der mit dem Preis für Wirtschaftswissenschaften der schwedischen Reichsbank ausgezeichnet wurde, wie der Wirtschaftsnobelpreis heißt.

Was die drei angesehenen Forscher verband: Sie waren zwar alle drei rund um 1900 in Wien geboren worden und promovierten auch allesamt an der Uni Wien, die überwiegende Zeit ihres Forscherlebens waren sie dann aber nicht in Österreich. Und wenn sie in ihrem Geburtsland forschten, dann taten sie das eher nicht an der Universität.

Von Hayek leitete bis 1931 das Österreichische Institut für Konjunkturforschung, ehe er mit 32 Jahren an die London School of Economics berufen wurde und von dort weiter an die Unis von Chicago und Freiburg. Von Frisch verbrachte fast seine gesamte Karriere in Deutschland. Immerhin: Viele seiner Entdeckungen machte er im ländlichen Familienanwesen in Brunnwinkl am Wolfgangsee. Nach dem Zweiten Weltkrieg lehrte "Bienen-Frisch" kurz in Graz, ging 1950 auch wegen mangelnder Förderung der Biologie in Österreich wieder zurück nach München. Zuvor noch schlug er Konrad Lorenz als seinen Nachfolger vor, der ab 1940 im ostpreußischen Königsberg seine erste und einzige Professur innehatte, davor ebenfalls fast ausschließlich am Familiensitz im niederösterreichischen Altenberg geforscht hatte.

Doch Lorenz' Ruf nach Graz scheiterte am Einspruch des Ministeriums, also ging der "Gänsevater" 1950 ebenfalls nach Deutschland und arbeitete bis 1973 an Max-Planck-Instituten. Der kommunistische Abgeordnete Ernst Fischer kommentierte den doppelten Abgang in einer Parlamentsrede wie folgt: "Frisch hat zwar die Sprache der Bienen entdeckt, und Lorenz hat sich durch aufsehenerregende Entdeckungen über das Verhalten von Tieren in der Welt einen Namen gemacht, aber keiner von beiden ist CVer (Anm.: Mitglied des katholischen Cartell-Verbands) - ein sehr schwerer Fehler für einen Gelehrten in Österreich."

Acht Nobelpreise für die Schweiz

Nun lässt sich darüber streiten, ob Nobelpreise immer an die Richtigen gehen, und einzelne Laureaten gar so viel über die Forschung eines Landes aussagen. Unbestritten ist, dass die Stockholmer Auszeichnungen als Gradmesser dafür taugen, wo die institutionellen Voraussetzungen für Spitzenforschung vorhanden sind. In der Zweiten Republik war es damit über weite Strecken nicht weit her. Zum Vergleich: Die Schweiz brachte es in den letzten 40 Jahren auf acht Laureaten.

Sehr viel besser stand die heimische Wissenschaft - zumindest hinsichtlich der Nobelpreise - in der Ersten Republik da. Je nach Zählweise waren es in diesen zwei Jahrzehnten fünf bis acht Forscher aus Österreich. Aber auch von diesen waren einige längst emigriert - oder bald zur Emigration gezwungen: Karl Landsteiner etwa übersiedelte 1922 nach New York, und als er 1930 den Medizin-Nobelpreis erhielt, war er US-Staatsbürger. Die Entdeckung der Blutgruppen, für die er ausgezeichnet wurde, war ihm indes schon lange vor dem Ersten Weltkrieg in Wien gelungen. Landsteiner steht beispielhaft dafür, dass man in der Ersten Republik zum einen noch von der Blütezeit der österreichischen Wissenschaft rund um 1900 lebte. Zum anderen verweist er darauf, dass die Unis nach 1918 bald an wissenschaftlicher Exzellenz verloren, nicht zuletzt weil sie immer stärker von Antisemiten und Nationalisten brauner und schwarzer Couleur beherrscht wurden.

Rechtskonservative Hegemonie

Diese rechtskonservative Hegemonie wirkte sich besonders stark auf die Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften aus: Fast alle Forscher, deren Bücher noch heute gelesen werden - wie etwa Marie Jahoda, Ernst Gombrich, Ernst Kris, Paul Lazarsfeld, Otto Neurath, Karl Popper, Ludwig Wittgenstein oder Edgar Zilsel - konnten oder durften nicht an der Uni tätig sein. Und spätestens 1938 wurden viele der besten Forscher des Landes aus rassistischen oder politischen Gründen verfolgt, vertrieben oder ermordet.

Alle bisher genannten Wissenschafter für Österreich zu reklamieren wäre also etwas chauvinistisch. Eher gilt für sie das zynische Bonmot, dass unser Land für wissenschaftliche Koryphäen gesundheitlich sehr zuträglich sein müsse: Viele wurden hier geboren, aber kaum eine ist noch in Österreich gestorben.

Doch lässt sich Spitzenwissenschaft überhaupt in einem nationalen Rahmen fassen? Der Physiker Erwin Schrödinger (Nobelpreisträger 1933, vertrieben 1938) stellte sich 1945 in einem wenig bekannten Text eben diese Frage - und lieferte mit Blick auf die Geschichte vor 1918 eine paradoxe Antwort: "Österreichische Wissenschaft. Was ist das? Schwer zu sagen. Es gibt sie nämlich nicht. Warum? Weil der Grundzug der österreichischen Wissenschaft ist, dass sie nicht österreichisch, sondern international ist, und zwar sowohl ideell als auch praktisch." Zumindest für Spitzenforschung trifft Schrödinger den entscheidenden Punkt.

Vergleichsweise international ging es in der österreichischen Wissenschaft rund um 1900 zu. Nach 1918 folgte eine lange Pause, die ein halbes Jahrhundert währte. Die Forschungspolitik nach 1945 knüpfte erschreckend stark an die Zeit des Austrofaschismus (mit braunen Restbeständen) an, und die heimischen Universitäten verkümmerten für ein Vierteljahrhundert unter einer katholisch-konservativen Käseglocke, in die erst um 1970 internationale Frischluft eindrang.

1967 begann der Wissenschaftsfonds FWF mit seiner Arbeit, 1970 kam es zur Gründung eines eigenen Wissenschaftsministeriums unter der Leitung von Hertha Firnberg, und 1972 holte man erstmals im Rahmen einer von Bruno Kreisky initiierten Konferenz einige der ins Exil gezwungenen Forscher zurück nach Wien. Die meisten der rar gesäten Wissenschafter, die in Österreich schon vor 1970 Bedeutsames leisteten, hatten einige Jahre im Ausland verbracht: Biochemiker Hans Tuppy etwa im englischen Cambridge.

Grundstein des Vienna Biocenter

Tuppy und einige seiner Schüler, die fast alle im Ausland Karriere machen sollten, hatten dann wesentlichen Anteil daran, dass Anfang der 1980er-Jahre mit der Gründung des Instituts für Molekulare Pathologie (IMP) der Grundstein für die Entwicklung des Vienna Biocenter in Wien gelegt wurde, eines jener Orte, an denen in Österreich von Anfang an international geforscht wurde.

Drei Jahrzehnte später arbeiten dort hunderte Wissenschafter aus rund drei Dutzend Ländern. Ähnlich international geht es am IST Austria zu, am Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse IIASA, aber auch an einigen Uni- und Akademieinstituten - beispielhaft am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA), am Gregor-Mendel-Institut (GMI), in der Quantenphysik, in der Mathematik oder in der Demografie. Und wenn der nächste Nobelpreisträger mit österreichischem Pass schon nicht in Wien oder Innsbruck forscht, dann halt eben in Zürich, Cambridge oder Oxford. (Klaus Taschwer/DER STANDARD, 28. 5. 2013)