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"Das neue Rad erfordert einen noch exakteren, aggressiveren Fahrstil, ein noch deutlicheres Buckeln nach oben und Treten nach unten."

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Gert Bachmann ist Assistenzprofessor am Zentrum für Ökologie der Fakultät für Lebenswissenschaften der Universität Wien.

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Radreisen mit alten Rädern hatten etwas Entspannendes. Die im Rhythmus des gleichmäßigen Tretens und tiefen Atmens vorbeiziehende Landschaft ließ sich kontemplativ erleben, die Gedanken flossen frei. Frei für Ideen, frei, die Seele nachkommen zu lassen, frei für Ehrlichkeit. So ähnlich müssen Humboldt oder Goethe empfunden haben, als sie Italien bereisten, Bologna und Rom. Wenn auch nicht mit dem Rad, sondern zu Pferde oder im Wagen. Vielleicht war es zu Pferde sogar noch besser, denn das Pferd verlangt Achtsamkeit, es ist treu und auch nachtragend, auch egozentrische Charaktere scheuen davor zurück, es zuschanden zu reiten.

Diese Achtsamkeit bereichert gleichwohl den Reiter, sie zwingt ihn zur Eile mit Weile, macht ihm den Wert der Gegenwart bewusst, zeigt ihm, dass er das Ziel der Reise nur heil und rasch erreicht, wenn er sich um den Gefährten genauso gut kümmert wie um sich selbst. Soziale Kompetenz über den Umweg des indirekten Egoismus. Der andere Reiter wird intuitiv, gewissermaßen ritterlich verstanden, erfährt er doch den gleichen Lernprozess. Vielleicht ist das der Wert der langsamen Reise. Man wird ein besserer, durch unverhoffte Erfahrungen bereicherter Mensch, wenn man sich in angemessenem Tempo in Richtung Ziel bewegt. Dabei ändert sich dann auch mitunter das Ziel. Der Weg ist das Ziel (was keine Ausrede für Bundeskanzler sein soll).

Ganz anders mit dem heutigen Rad. Man kann es zur Rennmaschine oder zum Geländerad ausbauen, es lädt zur Konkurrenz ein und hat man keine Konkurrenten, fährt man eben gegen sich selbst, vergleicht stolz die zurückgelegten Strecken und Geschwindigkeiten. Zumindest geländegängig muss das Teil, herausfordernd die Fahrt sein. Auch die Körperhaltung ändert sich: saß man aufrecht zu Pferde oder auf dem alten Rad, krampft man sich nun um den Lenker, buckelt bis zum Bandscheibenvorfall und tritt heftig nach unten. 

Aggressiverer Fahrstil

Das Erleben der Landschaft tritt in den Hintergrund, das autistische Abrackern in den Vordergrund. Und noch etwas passiert: das high-tech bike wird oft bald als minderwertig beschimpftes Material erlebt, das auch ohne weiteres weggeworfen werden kann, um ein neues, besseres zu kaufen. Das "Beförderungsmittel" wird als leicht ersetzbar, ohne Bedauern entsorgbar empfunden. All dies geht mit einer emotionalen Lehre einher, die den Wunsch nach noch höherer Effizienz und Exzellenz verstärkt. Das neue Rad erfordert einen noch exakteren, aggressiveren Fahrstil, ein noch deutlicheres Buckeln nach oben und Treten nach unten. Ein Verhalten, dass deshalb als Radfahrerprinzip beschrieben wurde.

Erfolg allein genügt bald nicht mehr: Sind Rennfahrer ganz oben, können sie endlich Funktionäre werden und Regeln aufstellen. Regeln, die sie selbst in dieser Form nie erfüllen mussten. Regeln innerhalb derer sich die Konkurrierenden kaum mehr bewegen können, ohne sich gegenseitig zu schaden. Wie im Kindergarten also, beim "Reise nach Rom"-Spiel. Wie lustig, wenn das dicke Kind keinen Sessel mehr bekommt und weint! Eine/r muss ja die/der letzte sein, das kennen wir ja auch aus Edu-tainement-Sendungen wie "Big Brother".

Hier unterscheiden sich Radsportfunktionäre kaum von ProfessorInnen österreichischer Universitäten. Und wer nicht seine Familienbande als zweitrangig eingestuft hat, nicht gescheiterte Fernbeziehungen oder kaputte Ehen hinter sich hat, kann einfach nicht exzellent genug sein. Mein Leben war hart, so das Credo der Exzellenzmacher, darum muss auch das Leben der anderen "tenure tracker" hart sein! Wie im Kindergarten wird schon pro-aktiv agiert, damit die Ausgangsposition für KonkurrentInnen schlechter wird.

Nur die "Besten"

Man geiert sich um den Platz an der Sonne, im Vorzimmer der Mächtigen, plustert sich auf, verunglimpft andere Fächer, bedient sich am "Studentenmaterial": wir wollen nur die "Besten". In der Tat scheinen sich die RektorInnen der österreichischen Universitäten kaum um bessere Dotation, Kooperativität oder bessere Betreuung in der Lehre zu bemühen. Es will scheinen, als seien sie zufrieden, sich in Konkurrenz zu anderen RektorInnen als erfolgreich darzustellen, auch wenn sich dies im internationalen Vergleich kümmerlich ausnimmt. Und zusätzlich wird natürlich "Reise nach Rom" gespielt: Die "Besten" bekommen zunächst eine kleine Belohnung, damit sie schneller laufen und sich nicht mit den "weniger erfolgreichen" solidarisieren, ja deren Bestrafung unkritisch mittragen (Milgram Experiment).

Später werden dann die (vielleicht auch nur scheinbar) nicht-Besten durch Unterdotation in Lehrekontingenten, Raum, Personal und Dotation in aller Stille hinausgemobbt, ihre Fächer ganz einfach nicht nachbesetzt, so als ob ein Fach plötzlich unwichtig wäre, wenn der letzte Proponent nicht genehm gewesen war.

Aus- und abgenutztes Material

Da werden dann die zu geringen Ressourcen offenbar weniger kritisch gesehen. Im Zeitalter der "metrics"-Gläubigkeit werden "Scientists" (der Begriff Universitätslehrer ist wohl in dieser Schwerpunktsetzung nicht mehr angebracht) zu dauernd auf Effizienz abgeklopftem, gewissenlos aus- und abgenutztem Material degradiert. Die in diesem Umfeld verzweifelt nach oben Geschwommenen finden sich plötzlich an Positionen, für die sie zumindest sozial inkompetent sind (Peterprinzip). Verpflichtende Ausbildung in Personalführung (Management, Kommunikationstraining) für ProfessorInnen wird offensichtlich nicht für nötig befunden, weder von Universitätsleitungen, noch von ProfessorInnen. Der Wille zur Kompetitivität und der Nimbus der Exzellenz scheinen zu genügen – hoc volo, sic iubeo ...

Wir brauchen vielleicht kein frei zur Datenverknüpfung verfügbares RAD (oder eine vergleichbare neue CRISis), und ganz sicher keine RADFahrer, die damit den Konkurrenzdruck und den distanzierten, Menschenmaterial verachtenden Stil noch stärker bereiten. Die an den Universitäten Tätigen entbehren dazu ganz offensichtlich der Verantwortlichkeit und Objektivität, solch effizientes Werkzeug nur zum Guten zu nutzen. Wir brauchen vielleicht wieder faire Wertschätzung aller Fächer und Peers (den dieser Begriff stammt ja wohl noch aus Zeiten, in denen Ritterlichkeit zu Gebote stand), die den Begriff "Scientific Community" noch als Gemeinschaft der gemeinsam Lernenden begreifen.

Benützen wir darum Datenbanken mit Bedacht, und erlauben wir keine Hintertür zur direkten Verknüpfung von "Metrics" und Stigmatisierung. Die Universitätsleitenden mögen zum Grundverständnis einer freien Universität, freier Wissenschaften und ihrer Lehre zurückfinden. Das geht allerdings nur im Dialog, nicht im Auswerten des messbaren oder zumindest messbar gemachten. Übersteigertes "Controlling" hat immer nur ins Absurde geführt und wird niemals fair ablaufen, vor allem wenn es eine Eigendynamik annimmt und so eher zur Qualitätsminderung führt.

Es zeigt sich auch, dass (Qualitäts-)Controlling, wiewohl sinnvoll und nötig, kein Ersatz für die Eigenverwaltung der Fächer sein kann, da die Diversität der Fächer einfach zu groß ist, um ohne die substanzielle Mitgestaltung der Angehörigen des jeweiligen Faches richtige Entscheidungen zu treffen.

Basisdemolratie und Chaos

Die UG-2002-Lobbyisten bedienten sich eines billigen, aber leider erfolgreichen rhetorischen Tricks: Alles, was an Demokratie gemahnte, wurde pro-aktiv als "Basisdemokratie, welche zwangsläufig ins Chaos führt" stigmatisiert. Die Notwendigkeit einer "accountability", also einer transparenten Zuweisung von Verantwortlichkeit, wurde in einer klassischen post-propter-Verwechslung und unter Negierung jeglicher zu Gebote stehenden Gewaltentrennung von hinten aufgezäumt zum "Zusammenführen von Verantwortung und Entscheidungskompetenz" in den selben Personen, was in Folge zwangsläufig streng hierarchische und autokratische Strukturen erfordere.

Dies wurde erfolgreich als alleinige konstruktive Alternative zu vorgeblich uneffektiven demokratischen Regulativen postuliert. Auch wurde suggeriert, nur ein "entweder, oder" sei möglich, Kompromisse gäbe es nicht. Das Rektorat verlässt sich nun mangels demokratischer Gremien auf Vertrauensleute. Objektivität und demokratische Legitimation wurden im Vakuum des UG 2002 durch Strickleitersysteme und "old boys"-Netzwerke ersetzt.

Allerdings ist diese Fehlschlusskette durch das prinzipielle Funktionieren der westlichen Demokratien längst widerlegt. So wie eine Regierung, sei es auf Ebene des Staates, der Länder oder Gemeinden ohne demokratische Regulative (Parlament bis Gemeinderat) nicht funktionieren kann, kann auch die Universität nicht ohne entscheidungsbefugte Kollegialorgane auskommen. Somit kann eine Universitätsleitung ohne paritätischen Senat, eine Fakultätsleitung ohne Fakultätskonferenz, eine Institutsleitung ohne Institutskonferenz, eine Studienprogrammleitung ohne Studienkommission nicht auskommen. Rührige Egozentriker gewinnen sonst ohne Kontrolle durch die KollegInnenschaft überproportional an Gewicht, wie wir es seit der Implementierung des UG 2002 laufend erlebt haben. Da gibt es dann mangels Transparenz sicher keine "accountability" mehr. Eine ausgewogene Zukunftsentwicklung ist so nicht mehr möglich.

Die überhebliche "moderne" Entsorgung oder Umfärbung formal impakt-armer Fächer wird sich als einer der größten Fehler herausstellen. Es ist kaum anzunehmen, dass ein Lehrbuch der Zoologie oder Botanik bald von einem Lehrbuch über "Biodiversität" oder "Organismische Systembiologie" ersetzt werden wird. Solche Semantik diente nur einem Zweck: dem Aufbau virtueller, abgrenzbarer Kleinreiche, der Reise des desillusionierten, alt gewordenen kleinen Peter auf dem Rad nach Rom.

Der Ausweg

Alles Fundamentalkritik ohne Ausweg? Keineswegs! Es gibt zahlreiche, bereits oftmals von verschiedener Seite vorgetragene Möglichkeiten für Verbesserungen:

1. Öffnung und Ausbau der Universitäten für Europa anstatt provinzieller Kontingentierung der Zugänge.

2. Schaffung flexibler Stellen für junge Menschen /zusätzlich/ und nicht auf Kosten des in Administration ertrinkenden Kernpersonals.

3. Redemokratisierung der Universitäten: handlungsfähige Senate, Fakultätskonferenzen, Institutskonferenzen, und Studienkommissionen.

4. Faculty aller langfristig angestellten UniversitätslehrerInnen statt anachronistischer Hierarchie.

Also: Haben wir Mut zu Reformen, die auch nachhaltig Positives bewirken. (Gert Bachmann, derStandard.at, 28.5.2013)