20 Jahre Queer Cinema in Wien

Am 6. Juni startet identities, Wiens internationales Queer Film Festival, das heuer noch dazu sein 20-jähriges Bestehen feiert. Einmal mehr präsentiert das Festival ein breit gefächertes Angebot an queeren Filmproduktionen, die großteils zum ersten Mal in Österreich zu sehen sein werden. Ob "crowd pleasers", neue Talente oder Experimentelles: Mit rund 90 Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilmen bietet identities nicht nur ein aktuelles Best of in Sachen Queer Cinema, mit Länderschwerpunkten (unter anderem zu Brasilien und Israel) und thematischen Leitlinien wie "Black Queer Identities" werden zudem globale Perspektiven auf Gender, Sexualität und Identität auf die Kinoleinwand geholt.

Im Folgenden haben wir ein paar Empfehlungen aus der dieStandard.at-Redaktion für Sie zusammengestellt:

Foto: identities 2013

Schwarze Frauenbewegung

1984 kam Audre Lorde, schwarze lesbische Dichterin und politische Aktivistin aus New York, als Gastprofessorin nach Westberlin. Für die US-amerikanische Frauenbewegung war sie eine unbequeme Mitstreiterin, die den Rassismus in den eigenen Reihen anklagte. Lorde forderte eine Auseinandersetzung mit den Hierarchien unter Frauen und Solidarität über die Grenzen von Herkunft, Klasse und sexueller Orientierung hinweg: "Different, but together." Lorde war auch Inspiratorin und "zündender Funke" für die afrodeutsche Frauenbewegung.

Der Dokumentarfilm Audre Lorde - Die Berliner Jahre 1984 bis 1992 von Dagmar Schultz ehrt die 1992 an den Folgen von Krebs verstorbene feministische Theoretikerin posthum und bringt das beeindruckende Werk der "Black lesbian feminist mother poet warrior" näher.

Audre Lorde - Die Berliner Jahre 1984 bis 1992 (Deutschland 2012)
Freitag, 7.6., 18 Uhr, Filmcasino

Foto: identities 2013

Trans-Geschichte

Viele Filme zum Thema Transgender erzählen von der Transition in jungen Jahren und fokussieren den Übergang zwischen weiblich und männlich gedeuteten Identitätsentwürfen. Anders der Dokumentarfilm I Am a Woman Now des niederländischen Regisseurs Michiel van Erp, der fünf Trans-Frauen im rüstigen Seniorinnen-Alter porträtiert - darunter das ehemalige Model April Ashley, Illustratorin Jean Lessenich sowie Entertainerin und Literatin Marie-Pierre Pruvot alias Bambi.

Sie alle unterzogen sich bereits in den 1950ern einer geschlechtsangleichenden Operation - in Casablanca, beim französischen Gynäkologen George Burou, der die chirurgischen Grundlagen für die moderne M2F-Geschlechtsanpassung entwickelte. Ein relevantes Stück "Trans"-Geschichte und eine Reflexion über das Altern aus Transgender-Perspektive.

I Am A Woman Now (Niederlande 2011)
Mittwoch, 12. Juni, 20 Uhr, Top-Kino

Foto: identities 2013

Queer Family

Zusammen mit den Lesbisch-Schwulen Filmtagen Hamburg präsentiert identities ein Familienprogramm zum Thema Anderssein mit Animationsfilmen für Filminteressierte aller Altersstufen (Eintritt für Kinder frei). Neben internationalen Trickfilmen aus dem Iran, Schweden und Israel ist auch The Girl Bunnies: Hockey der kanadischen Filmemacherin Françoise Doherty dabei - gedreht im klassischen Stop-Motion-Verfahren und mit einer knuffigen Hasen-Dame, die eine Vorliebe für Eishockey und andere Häsinnen pflegt. Eine happy "Homo Love Story" für Groß und Klein!

Familienprogramm - Animationsfilme für Kinder und Eltern
Sonntag, 9. Juni, 14 Uhr, Filmcasino

Foto: identities 2013

LGBT in Indonesien

Srikandi ist eine Figur aus dem indischen Epos "Mahabharata", die ihre Geschlechtsidentität wechselt, um gleichberechtigt unter Männern zu leben. In der Dokumentation Anak-Anak Srikandi ("Children of Srikandi") aus Indonesien berichten acht Frauen von ihren Erfahrungen, nicht den gesellschaftlichen Rollenerwartungen als "Frau" zu entsprechen. Selbstbewusst tragen die Protagonistinnen Schilder mit Selbstbeschreibungen wie "Girl Boy", "Andro Femme" oder "99% Lesbian".

Das kollektive Projekt "Anak-Anak Srikandi" ist nicht nur der erste Film von queeren Filmemacherinnen aus Indonesien, sondern auch eine Kampfansage an die konservativen Hardliner im bevölkerungsreichsten muslimischen Land der Welt. Ein spannendes Experiment in Inhalt und Form.

Anak-Anak Srikandi (Indonesien/Deutschland/Schweiz 2012)
Mittwoch, 12. Juni, 18 Uhr, Filmcasino

Foto: identities 2013

Preisgekröntes Homemovie

Höchst rekordverdächtig mutet Dicke Mädchen an: Gedreht mit nur 500 Euro Budget, gerade einmal zwei Seiten Drehbuch und einer fast 90-jährigen Filmdebütantin, räumte das Spielfilmdebüt von Regisseur Axel Ranisch etliche internationale Preise ab. Die dicke Story: Muttersöhnchen und Bankkaufmann Sven verknallt sich in Familienvater Daniel, der zugleich Pfleger seiner dementen Mutter Edeltraut ist. Eine etwas andere Liebesgeschichte im Homemovie-Stil - witzig, ungelenk und dabei äußerst liebevoll.

Dicke Mädchen (Deutschland 2011)
Samstag, 8. Juni, 22 Uhr, Filmcasino

Foto: identities 2013

Transgender im Iran

Das Roadmovie Aynehaye Rooberoo ("Facing Mirrors", Regie: Negar Azarbayjani) erzählt die Geschichte zweier Menschen aus unterschiedlichen Teilen der iranischen Gesellschaft: Rana ist Taxifahrerin in Teheran, die allein für den Lebensunterhalt für sich und ihren Sohn sorgen muss, weil ihr Ehemann im Gefängnis sitzt. Eddie, als Tochter in eine begüterte Familie geboren, reißt aus - sein Vater will seine Identität als Trans-Mann nicht akzeptieren und plant für "sie" eine Hochzeit.

"Aynehaye Rooberoo" ist der erste Film aus dem Iran mit einer Transgender-Figur als Protagonisten. Das Land ist weltweit führend in Sachen geschlechtsangleichende Operationen: Bereits 1970 erlaubte Ayatollah Khomeini OPs für "diagnostizierte Transsexuelle". Mit Toleranz hatte das jedoch wenig zu tun: Man wollte mittels "Geschlechtsumwandlungen" lediglich die heterosexuelle Norm wiederherstellen - bis heute wird die Existenz von Schwulen und Lesben von offizieller Seite geleugnet.

Aynehaye Rooberoo (Iran 2011)
Freitag, 14. Juni, 20 Uhr, Filmcasino

Foto: identities 2013

Porträt-Doku über Detlef Stoffel

Der Doku-Film Detlef von Jan Rothstein und Stefan Westerwelle ist das ungewöhnliche Porträt von Detlef Stoffel, einst führender Aktivist der Schwulenbewegung in Westdeutschland in den 1970er-Jahren. Heute führt Stoffel in seiner Heimatstadt Bielefeld ein zurückgezogenes Leben: Statt Schwulendemos und Diskussionsplena stehen TV-Soaps, Dates auf GayRomeo und die Pflege seiner über 90-jährigen Mutter auf seinem Tagesplan.

Detlef Stoffel ist in die Jahre gekommen und, wie es scheint, gescheitert. Doch noch immer blitzt bei ihm die Wut über die, wie er sagt, "Spielregeln der heterosexuellen Gesellschaft" auf: Ein bürgerliches Schwulenleben mit Trauschein und Konsumidylle kommt für ihn bis heute nicht infrage. Ein beunruhigender wie schöner Film.

Detlef - 60 Jahre schwul (Deutschland 2012)
Montag, 10. Juni, 20 Uhr, Top-Kino

Foto: identities 2013

Black Queers in den USA

Die 17-ja¨hrige Alike aus Brooklyn ist das, was man gemeinhin eine Außenseiterin nennt - eine schwarze "Butch", die auf Frauen steht. Alikes Eltern, die der konservativen schwarzen Mittelklasse angehören, fällt es schwer, die Tochter zu akzeptieren, gefährdet sie doch das Ansehen in der lokalen Gemeinde. Alike navigiert durch zwei gegensätzliche Welten, die nur wenige Blocks auseinander liegen: hier heimliche Besuche in der Disco, wo die coolen Lesben abhängen, dort der regelmäßige Kirchgang mit den frommen Eltern. Doch als Alikes Eltern ihr Bina, die Tochter einer Kirchenfreundin, als "guten Einfluss" zur Seite stellen, kommt alles anders als geplant ...

Dee Rees' Regiedebüt Pariah, das die Widersprüche innerhalb der "Black Community" verhandelt, wurde bereits in Sundance gefeiert und beeindruckt auch durch die Performance von Hauptdarstellerin Adepero Oduye.

Pariah (USA 2011)
Samstag, 15. Juni, 18 Uhr, Filmcasino

Foto: identities 2013

Roadmovie für Fortgeschrittene

Bewegend, unverschämt witzig und mit jeder Menge Verve: Cloudburst von Thom Fitzgerald und Doug Pettigrew zählt zu den absoluten Publikumslieblingen bei den internationalen queeren Filmfestivals. Die ehemaligen Oscar-Preisträgerinnen Olympia Dukakis und Brenda Fricker sind Stella und Dot, ein lesbisches Paar jenseits der siebzig. Als Dots prüde Enkelin ihre Oma in ein Heim stecken will, beschließen die beiden auszureißen - mit dem Pick-up fliehen sie Richtung Kanada, wo die gleichgeschlechtliche Ehe legal ist.

Cloudburst (Kanada/USA 2011)
Montag, 10. Juni, 20 Uhr, Filmcasino - Vorstellung bereits ausverkauft!
Wiederholung am Sonntag, 16. Juni, 18 Uhr, Filmcasino

Foto: identities 2013

Universelle Erfahrungen

Glen und Russell haben scheinbar wenig gemeinsam: der eine Künstler, der seine One-Night-Stands über schwulen Sex und Romantik interviewt, der andere ein Arbeiter, der in einem Plattenbau lebt und einen festen Freund sucht. Dennoch funkt es zwischen den beiden - und sie stürzen sich in eine leidenschaftliche wie komplizierte Romanze.

Für seinen Spielfilm Weekend erntete der britische Regisseur Andrew Haigh zahlreiche Lorbeeren. "Ich wollte sowohl die Angst als auch die Begeisterung zeigen, die wir empfinden, wenn wir jemanden neu kennenlernen", sagt Haigh über seinen Film. Eine intime, authentische Geschichte, die die universelle Erfahrung der Liebe aus queerer Perspektive neu erzählt.

Weekend (Großbritannien 2011)
Freitag, 7. Juni, 22 Uhr, Filmcasino

Foto: identities 2013

In Memoriam David Kato

Call Me Kuchu (Regie: Katherine Fairfax Wright und Malika Zouhali-Worrall), bei der Berlinale 2012 preisgekrönt, dokumentiert den Kampf von David Kato, dem ersten offen schwulen Aktivisten in Uganda, wo Homosexualität mit Gefängnis geahndet wird. In vielen außereuropäischen Staaten stammen solche homophoben Gesetze noch aus der Kolonialzeit - so auch in Uganda.

Unerschrocken setzen Kato und andere "Kuchus" sich für Gleichberechtigung und Akzeptanz von Lesben, Schwulen und Transgender-Personen ein, in einer von Hass und Gewalt geprägten Gesellschaft, in der auch die einflussreiche christliche Kirche gleichgeschlechtliche Liebe als "wider die Natur" verurteilt. Im Jänner 2011 wurde David Kato Opfer eines Hassverbrechens. Nach seinem Tod gilt für seine MitstreiterInnen: A luta continua - der Kampf geht weiter.

Call Me Kuchu (USA 2012)
Samstag, 8. Juni, 14 Uhr, Filmcasino

Das gesamte Festivalprogramm und Details: www.identities.at

(red, dieStandard.at, 27.5.2013)

Foto: identities 2013