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Was tun mit der neuen bürgerlichen Freiheit im kroatischen Nachkrieg? Britta Hammelstein und Markus Hering spielen "In Agonie", den Schlussteil der Trilogie von Miroslav Krleza.

Foto: APA/THOMAS AURIN

Wien - Die Verbindungslinien von Zagreb nach Wien sind unsichtbar. Man schreibt den 2. August 1914, und Die Glembays, ein Totentanz, bildet das erste Stück einer kroatischen Trilogie. Im Wiener Volkstheater grollt der Donner durch die großbürgerliche Ruhmeshalle. Das Familienanwesen der Glembays ist bis an die Rampe mit Tischen und Stühlen vollgeräumt. Die Teilhaber des Bankhauses stehen inmitten dieses Möbellagers auf verlorenem Posten. Ein Skandal rüttelt an den Grundfesten: Zeitungen beklagen die Glembay'sche Mitschuld am Tod zweier Proletarierinnen.

Die Entdeckung des Kroaten Miroslav Krleza (1893-1981) als Gesellschaftsdramatiker ist das erste Verdienst von Martin Kusej. Sein Münchner Residenztheater feierte mit In Agonie Festwochen-Premiere im Wiener Volkstheater. Und schon verzeichnet die Literatur der Nachjahrhundertwende einen bedeutenden Zugewinn.

Die Glembays sind nicht mehr zu retten. In ihren Fräcken nistet das Bewusstsein der eigenen Verderbtheit. Der Industriekapitän (Manfred Zapatka) überlässt das lecke Schiff sich selbst, seine Gemahlin in zweiter Ehe (Sophie von Kessel) verbirgt ihre Promiskuität hinter einem eisblonden Migräneschleier. Es ist ausgerechnet der Künstler in der Runde, der das Lügengebäude zum Einsturz bringt. Leo Glembay (Johannes Zirner) tänzelt mit zähnefletschendem Charme durch die Reihen der Todgeweihten. Er bringt Jesuiten zum Weinen (Jens Atzorn), dem Herrn Papa beschert er einen finalen Schlaganfall.

Kusej inszeniert das tolldreiste Treiben der Bankrotteure als wildes Scherzo. Er isoliert die Figuren und lässt sie wie Murmeln aneinanderschlagen. Am Schluss humpelt der fußmarode Familienanwalt (Gunther Eckes) mit der Kriegserklärung in der Hand auf die Bühne: "Das ist es, was wir brauchen! Das wird uns retten!"

Tatsächlich rettet sich in Galizien - so der Titel des zweiten Teils - niemand. Es herrscht feldgraue Finsternis auf der Bühne. Man schreibt den 31. Oktober 1916. Der Krieg sorgt für demokratische Verhältnisse. Die Lebenden und die Toten teilen sich das Revier.

Die Leiche einer Lehrerin lehnt an einem Tisch, keine zwei Schritte von ihr entfernt erquickt ein k. u. k. Oberleutnant (René Dumont) seinen Luxuskörper in der Badewanne. Mit unbarmherziger Strenge erhöht Kusej die Dosierung des Wahnsinns. Ein Quartiermeister (Norman Hacker) besetzt unter lauter zitternden Würstchen die Rolle des Psychopathen. Er schnappt mit den Kiefern, spuckt Blut, Gift und Galle.

Irrsinn der Etappe

Wieder ist es ein Künstler, der sich dem Irrsinn zu widersetzen versucht. Als begabter Klavierspieler wird Kadett Horvat (Shenja Lacher) nach brav vollstreckter Exekution einer Bäuerin in das Offizierskasino hinübergeholt. Einige Figuren aus den Glembays haben die Übersiedlung in die galizische Etappe gut überstanden. Es wird über Moral verhandelt, und am Schluss läuft das Bankett aus dem Ruder. Die "Blüte" der Monarchie streckt sich mit gezückten Glockpistolen reihum nieder. " Rückzug!", heißt es noch. Man weiß: Das Kaiserreich steht auf keinen Fall mehr lang.

Da hat Kusej die Puppe einer Alten an den Galgenstrick gehängt. Die Armee der Monarchie ist im Regenwasser ersoffen, die Fesseln der Zivilisation sind gesprengt. Einige Zuschauer zeigten sich demonstrativ brüskiert. Krlezas Stück ist aber auch keine Wehrsportübung, sondern ein Pamphlet über den Nullpunkt der Zivilisation. Der dritte Teil, In Agonie , entführt in lichteste Zagreber Gefilde. Es herrscht Nachkrieg.

Ein gewesener Rittmeister (Götz Schulte) büßt seine gesellschaftliche Nutzlosigkeit, indem er den angedrohten Selbstmord, den ihm niemand abnimmt, tatsächlich begeht. Die junge Witwe (Britta Hammelstein) wähnt den Weg frei für die Heirat des Familienanwalts (Markus Hering). Das schwarze Feuer des Krieges weicht der Sparflamme der Vernunft.

Nur ist diese nichts wert. Wie ein Florettfechter wehrt Hering die Avancen der Geliebten ab. In Zagreb wird mit Dinar gezahlt. Die Gesellschaft hat ihr postheroisches Zeitalter erreicht, die Kosten zahlen alle. Diese Beweisführung macht Kusej und seinen fantastischen Münchnern so leicht niemand nach. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 25./26.5.2013)