Bild nicht mehr verfügbar.

Wiener Neustadt/Oslo/Wien - Ein Team aus österreichischen und norwegischen Wissenschaftern hat im norwegischen Borre einen Häuptlingssitz mit Ritualplätzen, Grabhügeln und Hafenanlage aus der Wikingerzeit entdeckt und teilweise rekonstruiert. Die Forscher des Wiener Ludwig Boltzmann Instituts für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie (LBI ArchPro) haben dafür ein  neu entwickeltes, schneetaugliches Bodenradarsystems eingesetzt, mit dessen Hilfe verborgene Strukturen aufgespürt werden konnten. 

Die neuesten Ergebnisse des internationalen Großprojekts, die den Fundort historisch in neuem Licht erscheinen lassen, wurden am Donnerstag bei einer Pressekonferenz in Wiener Neustadt und zeitgleich in Norwegen vorgestellt.

Im Bild: Ein Forscher ist mit einem Multiantennen Bodenradar System des LBI ArchPro vor einem Grabhügel in Borre, Norwegen unterwegs.

Foto: APA/LBI ARCHPRO/ERICH NAU

Das am Oslofjord liegende Borre ist bereits seit 1852 als bedeutender Fundort aus der Wikingerzeit bekannt. Damals wurde dort in einem Grabhügel ein Wikingerschiff gefunden. In dem mittlerweile 18 Hektar großen archäologischen Nationalpark befindet sich heute "die größte Anordnung solcher monumentaler Grabhügel aus der Zeit der Wikinger von 600 bis 900", wie der Leiter des LBI ArchPro, Wolfgang Neubauer, erklärte.

Im Bild: Der Grundrissplan des durch Radarmessungen entdeckten Häuptlingssitzes.

Foto: LBI ArchPro, Mario Wallner

Bild nicht mehr verfügbar.

Wegen der kurzen Vegetationszeiten in Norwegen entwickelten die Forscher ein schneetaugliches Bodenradar, mit dem sie im vergangenen Winter auf der Suche nach Siedlungsstrukturen die nähere Umgebung des Bestattungsplatzes auf einer Fläche von 20 Hektar bis in zwei Meter Tiefe durchleuchteten. Bei dieser Methode werden die Grenzflächen von Materialien mit unterschiedlichen elektromagnetischen Eigenschaften sichtbar gemacht.

Im Bild: Eine Computer-Rekonstruktion der Überreste des Häuptlingsitzes in Borre.

Foto: APA/LBI ARCHPRO/MARIO WALLNER

Die Analyse der hoch auflösenden, dreidimensionalen Messbilder brachte neben zahlreichen Flakstellungen und Laufgräben aus dem Zweiten Weltkrieg die Überreste eines typischen wikingerzeitlichen Langhauses mit mehreren Nebengebäuden zutage. "Das Langhaus wurde auf einer künstlich aufgeschütteten Terrasse mit ungefähr 1.500 Quadratmetern errichtet. Das Gebäude selbst hat eine Länge von ungefähr 47 Metern und eine Breite von zwölf bis 14 Metern", so Neubauer.

Im Bild: Die Rekonstruktion der Gebäude-Überreste aus einem anderen Blickwinkel.

Foto: LBI ArchPro, Mario Wallner

Bild nicht mehr verfügbar.

Primär waren die neun erhaltenen Hügel nur vom Meer aus zu sehen. Das brachte die Forscher auf die Idee, dass es einen entsprechenden Anlegeplatz für Schiffe geben müsste. Die Auswertung weiterer Daten, die unter anderem per Laser-Scanner aus der Luft gewonnen wurden, erbrachte den Nachweis einer strukturierten Hafenanlage mit Wellenbrechern und Hafenbecken: "Die fluggestützten Methoden waren wichtig für das Erkennen dieser Grabhügel, ihren Zusammenhang und ihre Verbindung zu diesen Hafenanlagen."

Im Bild: Aufgrund von Radarmessdaten konnte die Versammlungs- und Festhalle aus der Wikingerzeit in Borre, Norwegen rekonstruiert und nachgebaut werden.

Foto: APA/NIKU/LARS GUSTAVSEN

Ursprünglich verband man die Grabhügel mit dem aus den nordischen Sagas bekannten Clan der Ynglinger. Moderne DNA-Analysen hätten nun laut Neubauer gezeigt, dass es sich nicht um eine Familie handelt, sondern dass mehrere Häuptlinge aus der näheren Umgebung diesen Platz gewählt haben um ihre Toten zu bestatten. "Diese überregionale Bedeutung ist ein ganz wesentlicher Punkt", erklärte der Wissenschafter.

Im Bild: Innenraum der rekonstruierten Königshalle in Borre.

 

Foto: NIKU, Lars Gustarvsen

Aufgrund der typischen Wandkonstruktion wurde das nun entdeckte Langhaus auf die Zeit von 950 bis 980, also an das Ende der Belegungszeit des Gräberfeldes datiert. Dies zeige, dass dieser Bestattungsort bewusst von Häuptlingen als eines der ersten neuen Machtzentren gewählt wurde, um dort Bezug auf ihre Vergangenheit zu nehmen. "Das ist ganz wichtig für diese Zeit, in der sich die Wikinger erstmals auch politisch größer formierten und hier quasi eine erste normannische Wikingeridentität entstand", so Neubauer über den historischen Kontext der Entdeckungen.

Im Bild: Reich verzierte Eingangstür in die monumentale Halle.


Link
LBI ArchPro: Hafen der Häuptlinge - Königreich der Toten

Foto: NIKU, Lars Gustavsen