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Ein Fahrzeug wurde von Jugendlichen in einem Vorort von Stockholm in Brand gesteckt.

 

Foto: REUTERS/Fredrik Sandberg/Scanpix/Files

STANDARD: Was ist der Auslöser für Krawalle, die binnen weniger Tage eskalieren?

Streit: Es ist immer der sprichwörtliche Funke, der überspringt. Es passiert etwas, das den lange angestauten Unmut überkochen lässt. Die Jugend in den westlichen Ländern hat immer weniger Perspektive. Trotz höherer Bildung gibt es immer mehr junge Menschen, die keine Arbeit finden. Zudem sind gerade Jugendliche relativ entwurzelt.

STANDARD: Was ist mit den Eltern?

Streit: In den entwickelten europäischen Staaten haben Eltern oft keine Zeit mehr, präsent zu sein. Der nötige Rückhalt, die Fürsorge für Entwicklung fehlt. Viele junge Migranten stranden in den Vororten, ohne Perspektive, jemals integriert zu werden. Auch Schweden hat diese Strategie lange verfolgt. In Berlin war es so, dass entwurzelte junge Deutsche auf entwurzelte junge Türken trafen. Zusammen bilden sie eine gemeinsame Subkultur, die bei einem kleinen Anlass explodieren kann.

STANDARD: Welche Auswirkung hat die hohe Jugendarbeitslosigkeit?

Streit: Wenn junge Menschen nicht in die Gesellschaft hineinwachsen können - und Arbeit ist der bestimmende Faktor -, bleiben sie immer unsicher. Sie müssen in Ersatzhandlungen ihre Bedeutung und ihre Wichtigkeit suchen. Das begünstigt das Bilden von gewalttätigen Klüngeln. Dann wird Gewalt zum Kult, es ist oft die einzige Befriedigung, die Jugendliche noch haben.

STANDARD: War die Situation für Europas Jugend schon einmal so?

Streit: Bei der großen Krise in den 1930er-Jahren. Allerdings glaube ich nicht, dass es diese Ausmaße hat. Wir steuern auf eine unglaubliche Bombe zu. In Portugal, Spanien und Griechenland ist die Situation noch weit gravierender.

STANDARD: Welche Maßnahmen könnten dem entgegenwirken?

Streit: Wir brauchen ein radikales Umdenken. Geld und Reichtum wären ausreichend vorhanden, nur: Wofür wirtschaften wir? Es wird nur Geld maximiert, nicht aber Wohlstand und Wohlbefinden. Das ist die große Schere, vor der entwickelte europäische Gesellschaften stehen. Und ich fürchte, dass Schweden nicht das letzte Beispiel dafür bleibt.

STANDARD: Hat Großbritannien die Probleme aufgegriffen, die durch die Krawalle sichtbar wurden?

Streit: Nein, die greift man eigentlich nie auf. Der Ruf bei solchen Ausschreitungen ist immer der Gleiche: Wir brauchen Härte und Strafen, Werte und Normen. Die Antwort von mir und mitdenkenden Wissenschaftern heißt immer Ausgleich und Versöhnung.Wenn die Gesellschaft keine Bereitschaft zeigt, mit diesen Jugendlichen versöhnlich zu sein, schafft man nur Nährboden für noch mehr Gewalt. Wenn man jemandem vermittelt, er ist wertlos, weil er nichts gelernt hat oder eine andere Religion oder Hautfarbe hat, kann es nur eskalieren. (Julia Herrnböck, DER STANDARD, 24.5.2013)