Paris - Eines hat Christine Lagarde in den USA gelernt: keep smiling. Mit einem strahlenden Lächeln begab sich die 57-jährige Französin am Donnerstagmorgen zum Gerichtshof der Republik. Auf den wenigen Metern von ihrer Limousine bis zum Amtsgebäude brachte sie es sogar noch fertig, den Dutzenden von Journalisten und Fotografen zuzurufen: "Es ist mir ein Vergnügen, Sie wiederzusehen." Denn Lagarde arbeitet seit 2011 am Sitz des Internationalen Währungsfonds in Washington. Sie besetzt einen der wichtigsten Chefposten der globalen Finanz - und droht ihn nun wegen einer alten Affäre zu verlieren: In Paris muss sie sich in der sogenannten Tapie-Affäre verantworten.

Unschöne Optik

Der Fußballmanager und Politiker Bernard Tapie hatte sich beim Verkauf des Sportartikelherstellers Adidas an die Staatsbank Crédit Lyonnais geprellt gefühlt und Klage eingereicht. Er blitzte aber bei der Justiz ab. Zur allgemeinen Überraschung bot die französische Regierung - Rechtsnachfolgerin der überschuldeten Staatsbank - aber die Hand zur Einrichtung eines privaten Schiedsgerichtes.

Und dieses kam 2008 zum Schluss, dass Crédit Lyonnais Tapie mit 285 Millionen Euro - mit Zinsen mehr als 400 Euro - abfinden müsse. Juristen schüttelten den Kopf, da es keinerlei Belege dafür gab, dass die Bank Tapie bei der Adidas-Übernahme bewusst in die Irre geführt oder übervorteilt hätte.

Sondertribunal

Wirtschaftsministerin Lagarde verzichtete aber im Namen der Regierung seltsamerweise auf jeden Rekurs. Für Pariser Medien war schon damals klar, dass die Ministerin im Auftrag von Präsident Nicolas Sarkozy handle: Dieser habe Tapie für dessen politische Unterstützung danken wollen. 2011 leitete die französische Justiz eine Voruntersuchung ein. Bei Lagarde und an anderen Orten fanden Hausdurchsuchungen statt.

Am Donnerstag musste sie zum Verhör antreten. Das Sondertribunal für ehemalige Minister dürfte gegen sie entweder ein Strafverfahren auf Veruntreuung von Steuergeldern eröffnen oder sie als "assistierte Zeugin" - ein Mittelding zwischen Anklage und Zeugenstand - vorladen. Das glauben jedenfalls die Pariser Medien.

Die große Frage ist, ob Lagarde an der Spitze des Währungsfonds bleiben könnte, wenn gegen sie in Frankreich ein Verfahren läuft. Die IWF-Statuten sehen diesen Fall nicht ausdrücklich vor. Sie sind allerdings in anderen Fällen - zum Beispiel bei Interessenkonflikten - sehr strikt. "Der IWF misst der Beachtung lokaler Gesetze durch seine Mitglieder eine große Bedeutung bei", lautet zum Beispiel ein Passus, für den Lagarde nach ihrem Amtsantritt 2011 selber gesorgt hatte. Das war auch eine Reaktion auf die Affäre ihres Vorgängers Dominique Strauss-Kahn. Der Franzose stolperte über mehrere Sexaffären, darunter mit einer ungarischen Währungsfonds-Managerin.

Heikles Politthema

Muss Lagarde den Hut nehmen, wäre das wohl auch vorentscheidend für die Präsidentschaftswahl von 2017. Sarkozy, der höchstwahrscheinlich zur Wiederwahl antreten will, käme in Bedrängnis. Und das wären nur die innerfranzösischen Folgen. Ein Rücktritt Lagardes hätte wohl auch negative Folgen für das globale Finanzkrisenmanagement.

Der Währungsfonds hat sich in den diversen Wirtschaftskrisen der vergangenen fünf Jahre zu einer Dreh- und Angelstelle des internationalen Finanzsystems entwickelt; ein Führungswechsel käme zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Abgesehen vom neuerlichen Imageverlust nach der Strauss-Kahn-Affäre.

Der IWF spielt Lagardes Verwicklung in die Tapie-Affäre auffällig herunter. Bei einem Strafverfahren "müsste sie bloß ab und zu nach Paris reisen, um einige Fragen zu beantworten", meinte ein Sprecher der internationalen Organisation zur Pariser Zeitung Le Figaro. (Stefan Brändle, DER STANDARD, 24.5.2013)