Die jüngsten Jugendkrawalle in schwedischen Städten sind ein besonders bedrückendes Ereignis. Hier wiederholt sich das, was in den vergangenen Jahren etwa in Frankreich und Großbritannien immer wieder geschehen ist: Frustrierte arbeitslose Jugendliche ziehen nächstens durch die Straßen, um ihrem Zorn freien Lauf zu lassen und vielleicht auch Spaß an der zerstörerischen Gewalt zu haben.

Die Ausschreitungen sind keine politischen Manifestationen, aber Ausdruck einer tiefen gesellschaftlichen Krise.

Doch diesmal passiert das im europäischen Musterland, das in seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik so ziemlich alles richtig zu machen versucht. Was ist in Schweden schiefgelaufen, dass es trotz so guter ökonomischer Daten ebenso wie südliche Eurostaaten ein massives Jugendarbeitslosigkeitsproblem (25 Prozent) hat und trotz aller Bemühungen um soziale Kohäsion eine zutiefst entfremdete Unterschicht?

Die Antwort, die sich auf den ersten Blick anbietet, ist ernüchternd: Es ist die Mischung aus starker Zuwanderung und einem gut ausgebauten Sozialstaat. Schweden rühmt sich einer besonders liberalen Zuwanderungspolitik, und hier vor allem einer großzügigen Aufnahme von Asylwerbern. Sie kommen trotz des harschen Klimas gerne nach Schweden, weil sie dort gut versorgt werden.

44.000 Asylwerber kamen laut UN-Zahlen 2012 nach Schweden, vor allem aus Bürgerkriegsstaaten wie Syrien, Afghanistan und Somalia. Das war ein Anstieg von 48 Prozent gegenüber dem Vorjahr, ist der drittgrößte absolute Wert in der EU und nach Malta der zweithöchste im Verhältnis zur Bevölkerung.

Der Anteil der im Ausland geborenen Bewohner beträgt in Schweden rund 15 Prozent. Das ist zwar etwas weniger als in Österreich (17,7 Prozent), allerdings sind die größte Gruppe bei uns die sehr leicht zu integrierenden Deutschen, dazu kommen viele gut qualifizierte Osteuropäer. In Schweden überwiegen Einwanderer aus sogenannten Problemstaaten, viele aus dem Nahen Osten wie etwa dem Irak.

Schweden tut genau das, was Amnesty International für ganz Europa und Menschenrechtsaktivisten auch in Österreich fordern: Es verfolgt eine humanitäre Zuwanderungspraxis, die Flüchtlingen aus krisengeschüttelten Ländern Zuflucht bietet.

Die Folgen für den Arbeitsmarkt sind allerdings fatal. Denn diese Menschen haben ein besonders niedriges Bildungsniveau und können in einer modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft nur schwer Arbeit finden. Und weil Schweden für seine Arbeitslosen gut sorgt, müssen sie es auch nicht.

Arbeitslosigkeit ist in Schweden vor allem ein Migrantenphänomen: Die Rate beträgt unter ihnen 16 Prozent, unter der einheimischen Bevölkerung nur sechs Prozent. Unter jugendlichen Migranten ist jeder Dritte arbeitslos. Das ist weniger als in Spanien, aber Schweden steckt nicht in einer Wirtschaftskrise. Und diesen Leuten fehlt das dichte Netz von Familienverbindungen und -ersparnissen, das die Arbeitslosigkeit in Südeuropa meist etwas erträglicher macht.

Schon Ralf Dahrendorf hat darauf hingewiesen, dass ein starker Sozialstaat und eine liberale Zuwanderungspolitik nicht gut zusammengehen, weil das Erste so viel Anziehungskraft entwickelt, dass die Toleranz für Einwanderung überreizt wird. In Schweden kommt noch dazu, dass die meisten Einwanderer nicht aus wirtschaftlichen, sondern aus politischen Motiven ins Land kommen - und es dann am Arbeitsmarkt besonders schwer haben.

Auch in Schweden wächst die Ausländerfeindlichkeit, rechtspopulistische Parteien wie die Schwedendemokraten legen zu. Dieser Trend dürfte sich weiter verstärken.

Das Beispiel Schweden zeigt, dass eine liberale Asylpraxis ein schlechtes Steuerungsinstrument für die Zuwanderung ist. Alle europäischen Staaten brauchen Einwanderung. Aber wenn man die Schaffung einer arbeitslosen, frustrierten und zunehmend zornigen Unterschicht verhindern will, muss man die bestqualifizierten Einwanderer auswählen - und nicht vornehmlich die, die mit noch so gutem Grund aus ihrer Heimat flüchten. (Eric Frey, derStandard.at, 23.5.2013)