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Wien/Graz/Frankfurt - In Kolumbien sind die Menschen weltweit mit ihrem Leben am zufriedensten. Bei einem Vergleich von 42 Ländern aus allen Kontinenten erreichten sie auf einer Skala von 1 (sehr unzufrieden) bis 10 (sehr zufrieden) den Wert von 8,3. Am anderen Ende der Skala liegen die Moldawier, deren (Un-)Zufriedenheitswert bei 3,7 liegt. Dies geht aus einer Studie des Grazer Soziologen Max Haller hervor, die dieser bei einer großen internationalen Tagung zum Thema "Herausforderungen für die Lebensqualität" in Frankfurt am Main präsentiert.

Haller hat für seine Arbeit die Daten des "World Values Survey" neu ausgearbeitet, in dessen Rahmen zwischen 1995 und 1998 in 42 Ländern repräsentative Bevölkerungsstichproben (rund 1.000 Befragte je Land) über ihre Lebenszufriedenheit, ihre Lebensbedingungen und Wertorientierungen befragt wurden.

Österreich extrapoliert

Österreich war an dieser Studie nicht beteiligt. Vergleichbare Befunde aus dem "International Social Survey Program", für das Haller seit 15 Jahren die österreichischen Daten erhebt, würden aber zeigen, dass Österreich ähnlich wie die Schweiz oder Deutschland im oberen Mittelfeld der internationalen Zufriedenheitsskala liege, so Haller.

Zu den Ländern, deren Einwohner sehr zufrieden mit ihrem Leben sind, zählen neben Kolumbien auch andere Staaten Lateinamerikas wie Mexiko oder Brasilien. Erwartungsgemäß sind das auch die wohlhabenden Länder Westeuropas und der angelsächsischen Welt wie die USA oder Australien. Eindeutig am unzufriedensten sind dagegen - gemeinsam mit Moldawien - fast alle übrigen postkommunistischen Länder Osteuropas und Asiens, von Bulgarien über Russland bis zu Aserbaidschan.

Faktoren

Die nahe liegendste Erklärung für die spektakulären Unterschiede in den verschiedenen Ländern - das Einkommens- und Lebensniveau - ist allerdings "nur einer, aber bei weitem nicht der alleinige Faktor" für die Zufriedenheit der Bevölkerung.

"Wohlhabende Länder weisen zwar durchaus hohe Werte auf, ebenso hohe und zum Teil sogar höhere Zufriedenheit findet sich aber auch in einigen sehr armen Ländern der Erde, vor allem in Südamerika, aber auch in China", betont Haller. Selbst einige der ärmsten Länder wie Nigeria oder Indien würden noch deutlich über dem weltweiten Durchschnitt liegen, der bei der Note 6,4 liegt.

Der Zukunft zugewandt

"Wichtiger als die aktuelle ökonomische Lage bzw. der Wohlstand eines Landes sind die Veränderungen in der Vergangenheit und Perspektiven für die Zukunft", so der Soziologe. Dies wäre einer der wichtigsten Faktoren, der den extremen Unterschied zwischen den Werten der südamerikanischen und der postkommunistischen Länder Osteuropas erkläre.

Während Südamerika in den neunziger Jahren einen starken wirtschaftlichen Aufschwung erlebte, hätten die osteuropäischen Staaten im Zuge des Übergangs von der Zentralverwaltungs- zur Marktwirtschaft den stärksten Einbruch ihrer Geschichte gehabt, mit negativen Wachstumsraten bis zu minus zehn Prozent und einer Explosion der Arbeitslosigkeit.

Persönliches Erleben

Haller nennt aber noch zwei weitere Faktoren, die die großen Differenzen im Zufriedenheitsniveau erklären: "Zum einen sind dies die persönlichen Zukunftsperspektiven der Menschen und ihr Gefühl, dass sie ihr Leben kontrollieren können und erhebliche Entscheidungsfreiheit haben." Dieses Gefühl sei in den westlichen Ländern, aber auch in Ostasien viel höher als in den postkommunistischen Ländern, wo Erfahrungen mit und Mut zu Eigeninitiative weitgehend unterdrückt worden seien.

Dieser Faktor erklärt für den Soziologen auch, warum Arbeitslose, ungelernte Arbeiter und Menschen, die sich selber der Unterschicht zuordnen, deutlich weniger zufrieden sind als der Durchschnitt der Bevölkerung. Der zweite entscheidende Faktor für hohe Lebenszufriedenheit sei die soziale Einbettung der Menschen.

Soziale Netze

"Personen, die verheiratet sind und Kinder haben, denen im Alltag und in Notsituationen ein großes Netz von Unterstützung durch Verwandte, Bekannte und Freunde zur Verfügung steht, aber auch religiös aktive Menschen sind signifikant glücklicher als jene, die nicht über solche soziale Unterstützung verfügen", so Haller.

Der brutale Übergang vom "realen Sozialismus" zur Marktwirtschaft in Osteuropa habe auch diese privaten Netzwerke beeinträchtigt. Dies zeige sich im Lauf der neunziger Jahre u.a. auch in dramatisch sinkenden Geburtenzahlen.

Politische Implikationen

Für die Politik ergibt sich aus den Studienergebnissen laut Haller eine eindeutige Botschaft: "Es ist nicht das absolute Wohlstandsniveau, das entscheidend für eine hohe Zufriedenheit der Bevölkerung ist, das allerdings - etwa im pauschalen Ziel des Wirtschaftswachstums - unsere Politik noch weitgehend dominiert." Notwendig sei vielmehr ein Bündel von Maßnahmen, das bereichsbezogen und auf die Bedürfnisse spezifischer Bevölkerungsgruppen zugeschnitten sei.

Die starken Einbußen im Zufriedenheitsniveau von Arbeitslosen und ungelernten Arbeitern würden beispielsweise nahe legen, dass Bildungs- und Vollbeschäftigungspolitik vor allem für junge Menschen eine hohe Priorität von Regierungen haben müssten, denen das Wohlergehen ihrer Bürger ein wichtiges Anliegen sei. Daneben seien aber auch viele weitere Maßnahmen wichtig, die zu einer Humanisierung der Arbeits- und Lebenswelt der Menschen beitragen können. "Das in den USA schon lange und nun zunehmend auch im Rahmen der EU propagierte Ziel einer Erhöhung des Wettbewerbs auf allen Ebenen gehört wohl eher nicht dazu", meint Haller.

Die Ergebnisse im Detail - Mittelwerte auf einer Skala von 1 (sehr unzufrieden) bis 10 (sehr zufrieden):

Kolumbien 8,31 Schweiz 8,02 Finnland 7,78 Schweden 7,77 Mexiko 7,69 USA 7,67 Norwegen 7,66 Australien 7,58 Deutschland (alte Bundesländer) 7,22 Brasilien 7,15 Uruguay 7,13 Dominikanische Republik 7,13 Spanien 6,99 Argentinien 6,93 Chile 6,92 Taiwan 6,89 Philippinen 6,84 China 6,83 Nigeria 6,82 Venezuela 6,72 Deutschland (neue Bundesländer) 6,64 Japan 6,61 Indien 6,53 Slowenien 6,46 Bangladesch 6,41 MITTELWERT 6,37 Peru 6,36 Kroatien 6,18 Türkei 6,18 Südafrika 6,08 Mazedonien 5,70 Aserbeidschan 5,39 Estland 5,00 Litauen 4,99 Lettland 4,90 Bulgarien 4,66 Georgien 4,65 Russland 4,41 Weißrussland 4,35 Armenien 4,32 Ukraine 3,95 Moldawien 3,73 (APA)