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Foto: REUTERS/Peter Macdiarmid
Andrew Gilligan ist genau das passiert, was Journalisten eigentlich nicht passieren darf: Er selbst ist zur Nachricht geworden. Statt aus der Beobachterperspektive über andere zu erzählen und sich selber zurückzunehmen, steht er im Rampenlicht.

Gilligan ist der Überbringer einer Botschaft, die dem britischen Kabinett gar nicht gefiel. Das Schlüsselwort darin klingt so, als stammte es aus einem Groschenroman: "sexed up", aufgemotzt, aufgebauscht. Ein Begriff aus dem Slang, der sich im Hirn festhakt. Aufgemotzt, berichtete der BBC-Reporter am 29. Mai, habe Tony Blairs Pressechef Alastair Campbell ein Dossier über die irakischen Waffen. Die erste Fassung der Geheimdienste sei ihm zu nüchtern gewesen.

Die Behauptung trug Gilligan einen Racheschwur Campbells ein: Blairs mächtiger Medienguru zog in einen Privatkrieg gegen den Journalisten, bei dem alle Regeln des guten Geschmacks auf der Strecke blieben. Gilligans Informant - der einzige Informant, wie die BBC jetzt zugibt - war David Kelly, Biowaffenexperte, eine ehrliche Haut und letztlich der tragische Held der Vendetta zwischen 10 Downing Street und der renommiertesten Rundfunk-und Fernsehstation der Welt.

Gilligan, 35 Jahre alt, gilt als aufstrebender Jungstar in den Redaktionsstuben der altehrwürdigen "Tante Beeb". Seit 1999 arbeitet er für die morgendliche Radiosendung "Today", die fürs politische London ein Pflichtprogramm ist. Der Newcomer sollte für mehr Pep bei der manchmal faden "Tante Beeb" sorgen. Er sollte spektakuläre Storys aus der Schattenwelt von Militär und Geheimdiensten unter dem Teppich hervorkehren, was er prompt mit Erfolg tat.

Einmal deckte er den offiziell verbotenen Verkauf von Anti-Personen-Landminen auf, indem er getarnt als Käufer auftrat. Im BBC-Handbuch stehen solche Methoden nicht. Altgediente Hasen rümpften denn auch die Nase über Gilligans robusten Recherchestil, der eher zu Boulevardzeitungen passt.

Gleich nach dem Irakkrieg vermieste er Blair die Siegerlaune, als er Chaos und Anarchie in Bagdad beschrieb. Die Iraker, fasste Gilligan zusammen, lebten in größerer Furcht als jemals zuvor. "Das soll er mal Leuten erzählen, denen Saddam die Zunge abschneiden ließ", schoss Blairs Pressesprecher zurück. Spätestens seit diesem Schlagabtausch ist der Reporter für die Ministerrunde ein rotes Tuch. "Gullible Gilligan" ("Naiver Gilligan") heißt er bei Blair.

Sein Handwerk lernte der Londoner nach dem Geschichtsstudium an der Eliteuniversität Cambridge bei einem Lokalblatt, den Cambridge Evening News. Von dort ging er 1995 zum Sunday Telegraph, einer konservativen Zeitung, die enge Kontakte zu Geheimdienstlern und Militärspezialisten pflegt.

(Frank Herrmann, DER STANDARD, Print, 22.07.2003)