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Den Kulturwandel proben: Den Weg ins Paradies kann wohl auch die Gemeinwohlbilanz nicht weisen.

Foto: AP/Lalit

 "Wir sind kein Sozialverein", sagt Schirnhofer-Chef Christian Laschet. Warum dem Chef des steirischen Fleisch- und Wurstwarenhersteller diese Anmerkung wichtig ist? Schirnhofer legt neuerdings eine Gemeinwohlbilanz. Dabei werden Punkte für menschliche und ökologische Goodies im Betrieb vergeben. Wirtschaftlich erfolgreich sein und dabei menschliche Werte respektieren: Das ist die Idee, die auch Schirnhofer bewegt.

Vielleicht gerade weil die Branche zuletzt wenig zu lachen hatte. Im Soge des Pferdefleisch-Skandals traten wieder einmal jede Menge Mängel im mittlerweile hocheffizienten Lebensmittel-Produktionssystem zutage. Turbo-Schweinderl und -Henderl, in Massen eiligst hochgezogen mit Hilfe von zahlreichen Medikamenten und unter Einsatz von Hochleistungsfutter, Massen-Transporte zu Schlachtstätten und von dort zur fabriksmäßigen Bearbeitung: Bei so vielen Gliedern einer der Massenproduktion verpflichteten Kette ist das Potenzial für Schwachstellen allen Kontrollmaßnahmen zum Trotz groß. Dass die Konsumenten tatsächlich Gewinner der Billigprodukte sind, ist keineswegs mehr ausgemachte Sache.

Kein Sozialverein

Transparenz, Qualitätssicherung, das sind Worte, mit denen ein hemdsärmeliger Unternehmer wie Laschet etwas anfängt. "Wir beschäftigen uns seit dem Jahr 2000 mit nachhaltiger Produktion, mit ethischen Lebensmitteln", sagt er im Gespräch mit derStandard.at und schiebt nach:"Fleisch und Wurst machen kann jeder. Aber da können wir uns von der Konkurrenz unterscheiden."

Doch wie sozial muss ein Unternehmen sein? Und wem gegenüber? Den Mitarbeitern? Den Eigentümern? Den Lieferanten? Oder besser gar nicht, weil das Schauen auf das Wohl der Anderen der weltweite Konkurrenzkampf gar nicht erlaubt?  Immerhin argumentierte schon Nobelpreisträger Milton Friedman, Unternehmen hätten gar keine andere Wahl, als ihre Gewinne stets so hoch wie möglich zu treiben - sonst würden sie rasch von profitableren Wettbewerbern gefressen oder verdrängt. "Herzjesumarxistischer Enteignungseuphoriker und neokommunistischer Gemeinwohl-Pseudoökonom" titulieren heute so manche Kritiker die Erfinder einer "Wirtschaft auf der Blumenwiese."

Handlungsanweisungen in der Gemeinwohlbilanz

Eine wachsende Anzahl an Unternehmen hat diese Fragen für sich schon beantwortet und fand die notwendigen Handlungsanweisungen in der Theorie der Gemeinwohlökonomie. Der seit einem halben Jahrhundert in den Lehrbüchern der Betriebswirtschaftslehre wiederholte Satz "der Betrieb im marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystem kennt nur ein Ziel, nämlich die langfristige Gewinnmaximierung" ist offenbar mittlerweile auch für gestandene Unternehmer reif für eine zeitgemäße Adaption.

"Es geht um die Kernfrage, wie verdienen wir unser Geld", sagt etwa Georg Gundolf im Gespräch mit derStandard.at. Der Vorarlberger ist einer der Vorstände der Raiffeisenbank Lech am Arlberg. Dass die Zahlen in der Bank stimmen müssen ist klar, aber das ist quasi Mindeststandard. Salopp gesagt: Die Vorarlberger wollen nicht über Leichen gehen, um gute Zahlen zu liefern.

Soziale Verantwortung in Zahlen

Die Raiffeisenbank Lech am Arlberg legt genauso wie Schirnhofer – zusätzlich zur herkömmlichen Bilanz - neuerdings eine so genannte Gemeinwohl-Bilanz. Das Zahlenwerk misst soziale Verantwortung, ökologische Nachhaltigkeit, demokratische Mitbestimmung und gesamtgesellschaftliche Solidarität. Im Fokus steht die Steigerung des Gemeinwohls und nicht allein die Gewinn-Maximierung. Die Interessenten rekrutieren sich keineswegs nur mehr aus dem Öko-Eck. 1.213 Unternehmen und Institutionen bekennen sich mittlerweile international dazu.

Was Gemeinwohlbilanzierer zu beachten haben, ist so einfach wie kompliziert, müssen sie doch auch soziale und ökologische Aspekte in den Jahresbericht miteinbeziehen. Wer nach diesen Regeln vorgeht, veröffentlicht neben Finanzkennzahlen wie Rendite oder Zinsertrag, Informationen darüber, ob die eigenen Produkte die Umwelt belasten und wieviel die Mitarbeiter wobei mitbestimmen dürfen. Interessierte können nachlesen, ob sich die Mitarbeiter wohlfühlen und wie groß die Gehaltsunterschiede zwischen Vorstand und einfachem Angestellten sind.

Profit und Moral

Schauen auf den Profit und die Moral: Dass das geht, haben auf ihre Art schon die Arthur Krupps und Robert Boschs dieser Welt – wenn auch unter anderen Vorzeichen - vorgemacht. Mittlerweile gehört auch bei Großkonzernen die so genannte Corporate Social Responsibility zum guten Ton. Gemeinsam mit der PR-Industrie versuchen Unternehmen und Wirtschafts- und Industrieverbände seit Anfang der 1990er Jahre mit zu definieren, wie eine gesellschaftliche Verantwortung aussehen kann.

Den Fürsprechern der Gemeinwohlökonomie reicht das  nicht. Es fehle die Kontrolle von außen mittels externer Audits, kritisieren sie. Die Einhaltung der Werte, die man sich auf die Fahnen heftet, sollte mithilfe eines genau definierten Kriterienkatalogs überprüfbar sein, so die Idee.

Schirnhofer hat mittlerweile eine gläserne Fabrik, schreibt sich den korrekten Umgang mit den Mitarbeitern auf die Fahne und natürlich die Ökologie. Und er schaut den Bauern auf die Finger. Auch die haben etwas davon: "Wir konnten bei den Schweinen den Arzneimitteleinsatz um 50 Prozent reduzieren", sagt Schirnhofer-Chef Laschet. Worüber er auch gerne erzählt, ist Almo. Das artgerecht gehaltene Rindvieh darf länger brauchen zum Wachsen: 26 Monate, die Hälfte davon auf der Alm. Der Konsument merke das an der Zartheit des Fleisches. "Kann man sich als Fleischereibetrieb das leisten?", ist für Laschet die falsche Frage: "Nur so können wir uns differenzieren. Das gab es bei uns schon alles. In der Gemeinwohlbilanz gibt es eine Möglichkeit das abzubilden."

Schöner leben

Auch der Vorarlberger Raika-Chef Gundolf betont, dass man im Vorstand schon vor Jahren begonnen habe, Leistung nicht auf nackte Zahlen zu beschränken. "Wir haben beispielsweise unsere Mitarbeiter von Verkaufszielen befreit. Das heißt weg von quantitativen, hin zu qualitativen Zielen." Im Endeffekt wolle man mit offenen Karten spielen, sagt Gundolf. Dabei geht es durchaus ans Eingemachte: "Es tauchten Fragen an den Vorstand auf, wie jene der Einkommensspreizung, oder woher kommen die Mittel im Private Banking."

Gemeinsam mit den Mitarbeitern haben sich die Bankchefs die Frage gestellt, was ohne diesen Prozess fehlen würde. Die Antwort fällt deutlich aus: "Unser Leben wird bewusster, Zusammenhänge werden erkannt, der Sinn unserer Arbeit wird deutlich, die Freude wird größer." Das geht laut Gundolf bis in den Privatbereich hinein. "Zum Beispiel haben wir uns Fragen gestellt wie: Was bedeutet es für den heimischen Lieferanten, wenn ich billiger in einem Supermarkt einkaufe?" Für die Mitarbeiter, mit denen man sich gemeinsam für das Engagement in Sachen Gemeinwohlökonomie entschied, sei die Sache eindeutig positiv.

Wenn die Kunden mitspielen

Eine wichtige Frage stellt sich sowohl bei Schirnhofer als auch bei der Raika. Spielen da die Kunden mit? Denn Profit als oberste Maxime der Produzenten traf viele Jahre auf Geiz ist Geil als jene der Konsumenten. Bei Schirnhofer kostet die Premiummarke Almo mehr als das Industriefleisch, dafür schmeckt das Schnitzel am Teller auch besser.

Doch was halten Bankkunden von einer moralischen Bank? "Wir haben jetzt durchaus Kunden, die sagen: Es ist mir das eine Prozent mehr Rendite nicht wichtig, wichtiger ist mir die Frage, was macht mein Geld", sagt Laschet und fügt hinzu: "Könnte sein, dass wir manche Kunden verlieren und andere gewinnen." (Regina Bruckner, derStandard.at, 29.5.2013)