Graz - "Ich denke, er irrt sich", sagt der Grazer Pfarrer Wolfgang Pucher und möchte Norbert Ceipek widersprechen. Ceipek, dem Leiter der Wiener "Drehscheibe", die unbegleitete Kinder und Jugendliche betreut, hatten zuletzt Aussagen, wonach Kinderbettelei für Roma-Clanchefs ein "Geschäftsmodell" darstellten, hitzige Debatten und sogar Rassismusvorwürfe der SPÖ-Gewerkschafter im Wiener Rathaus eingebracht.

"Armenpfarrer" Pucher, der sich seit Jahren wie Ceipek auch um Romakinder kümmert, glaubt Ceipeks Berichten über "Clan-Chefs" nicht. Es habe sich nie nachweisen lassen, dass hinter der Kinderbettelei Roma-Bosse stünden. "Das sind Vorurteile und eine ewige Unterstellung", sagt Pucher. Von all den Kindern, die in Graz unterwegs seien, sei jedes beaufsichtigt. "Ich kenne keine Romafrau, die ihr Kind allein lässt, das garantiere ich." Die Familien kämen allein deshalb hierher, "weil sie zu Hause hungern".

Teilweise richtig

"Es ist eine sehr, sehr diffzile Problematik, sehr vielschichtig und darf in keiner Weise schwarz-weiß betrachtet werden", sagt Dieter Halwachs, einer der profundesten Roma-Experten in Österreich, der gegenwärtig im Auftrag der Europäischen Union in Osteuropa ein Bildungsprojekt für Minderheiten - auch mit Roma - aufbaut. Halwachs gibt Ceipek teilweise recht. Natürlich gebe es diese Clan-Chefs und Strukturen und all die Realitäten, wie sie Ceipek schildere. "Aber das gilt nicht für alle, nur für einen Teil. Man muss genau hinschauen, woher die Familien kommen, in jedem Land ist die Situation unterschiedlich", sagt Halwachs im Gespräch mit dem STANDARD.

Man müsse vordergründig allerdings sehen, dass das Betteln, das Scheibenputzen der Autos, die kleinen Diebstähle für viele die einzige Möglichkeit seien, überhaupt zu überleben. Es sei aber gefährlich, warnt Halwachs, die Problematik zu ethnisieren.

Nicht freiwillig hier

Ceipek hatte auch auf die dramatische Situation unbegleiteter Kinder aus Afghanistan hingewiesen. Der Sozialpädagoge äußerte den Verdacht, dass viele der Kinder von den Eltern vorgeschickt werden, um rascher eine Familienzusammenführung zu erreichen - zumindest werde ihnen das von Schleppern suggeriert. Werner Kröll vom Grazer interkulturellen Zentrum Zebra meint dazu: "Die Kinder sind zum Großteil nicht freiwillig hier." Sie seien in der Regel von den Müttern losgeschickt worden, "damit wenigstens einer aus der Familie überlebt". Asyl für die Eltern spiele seinen Beobachtungen nach weniger eine Rolle. (Walter Müller, DER STANDARD, 21.5.2013)