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Protest steht in Griechenland am Tagesprogramm. Mitunter geht es auch nicht immer friedlich zu. (Bild: Proteste in Athen im Dezember 2012)

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Wolfgang Hetzer: "Mein Vertrauen in die Politik und in die Wirtschaft ist überschaubar."

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Die Welt befindet sich im Krieg, im Finanzkrieg. Davon ist Wolfgang Hetzer überzeugt. Er war bis 2011 beim europäischen Amt für Korruptionsbekämpfung OLAF tätig. Was er dort erlebt hat, lässt für den Juristen nur einen Schluss zu: Der Kapitalismus ist eine Kriegserklärung an die bürgerliche Welt. In seinem ersten Buch "Finanzmafia" schreibt Hetzer über die "Korruption als Leitkultur". Die derzeitige Wirtschaftskrise ist demnach ein Produkt aus politischen Fehlentscheidungen, wirtschaftlicher Inkompetenz und krimineller Energie.

Im Gespräch mit derStandard.at erklärt Hetzer, warum wir uns im Finanzkrieg befinden, warum Krieg der richtige Begriff ist, wie wir aus dem Gefecht heraus kommen und warum wir keine Lämmerherde sein müssen.

derStandard.at: Ihr neues Buch heißt "Finanzkrieg". Wer hat den Krieg angezettelt?

Wolfgang Hetzer: Es ist schwierig zu sagen, wer den Krieg angezettelt hat. Es waren politische Entscheidungen, wie etwa jene der US-amerikanischen Regierungen, die Golddeckung in den 1970er Jahren aufzugeben oder die Deregulierung der Finanzmärkte durchzusetzen. Oder die Zulassung bestimmter Finanzinstrumente und der unkontrollierte Handel mit Derivaten, die später von Warren Buffett als "Massenvernichtungswaffen" bezeichnet wurden. Unter Thatcher und Reagan wurde die Deregulierung weiter vorangetrieben, und auch die deutsche rot-grüne Regierung hat mit dem Investmentmodernisierungsgesetz 2003/04 etwa Hedgefonds in Deutschland zugelassen.

derStandard.at: Was ist schlecht an Hedgefonds?

Hetzer: Hedgefonds sind Teil des Schattenbankensystems, das sich den klassischen orthodoxen Regeln des Bankwesens entzieht und das natürlich eine eigene Quelle von Risiken ist. Es waren Regierungen, die den Boden bereitet haben für diese "kriegerischen" Auseinandersetzungen am Finanzmarkt, wo jeder fremdes Terrain erobern wollte, zu einem großen Teil ohne Rücksicht auf Verluste. Das erlaubt die Verwendung des Begriffs Krieg.

derStandard.at: Krieg klingt aber schon sehr martialisch.

Hetzer: Zunächst stößt der Begriff auf inneren Widerstand, weil man beim Begriff Krieg an rollende Panzer und zerstörte Städte denkt. Mittlerweile haben sich die Formen des Krieges verändert, man redet vom Wirtschaftskrieg, vom Handelskrieg, vom Währungskrieg. Das muss natürlich nachdenklich machen. Wenn man an die Essenz eines Krieges geht, dann geht es um Angriff und Verteidigung, um große Schäden, um Kriegslisten, Kriegspläne, aber auch um Kollateralschäden bei der zivilen Bevölkerung, die damit nicht unbedingt etwas zu tun hat. So hat die Bevölkerung auch mit den Schäden an den Finanzmärkten nichts zu tun, muss aber einstehen für das, was dort geschieht. Das scheint ein Prinzip zu sein – die Entkopplung von Handlung, Verantwortung und Haftung. Genauso, wie Leistung und Arbeit nicht mehr so zueinander stehen, wie früher.

derStandard.at: Was müsste man dazu tun?

Hetzer: Die Sinnhaftigkeit "innovativer" Finanzprodukte prüfen, deren Auswirkungen auf das allgemeine Wohl diskutieren und fragen, wer zahlt, wenn letztlich alles schief geht. Und auch die schöne lateinische Frage cui bono, also wem das alles nützt, stellen. Wenn Sie bestimmte Verquickungen zwischen Politik und Wirtschaft sehen, stellt sich schon die Frage, ob diese sogenannten Eliten und Klassen tatsächlich am Gemeinwohl interessiert sind oder an etwas anderem, zum Beispiel dem eigenen Wohl.

derStandard.at: Und, woran sind sie interessiert?

Hetzer: Mein Vertrauen in die Politik und in die Wirtschaft ist überschaubar. Ich beschreibe in meinen Büchern, was sich da an wirtschaftlichem Unverstand und politischer Ambition verlinkt hat und zu welchen Ergebnissen das geführt hat. Sie können ja in Österreich durchaus Beispiele dafür finden: Von Bawag über Hypo Alpe Adria bis hin zur Immofinanz.

derStandard.at: Sie verwenden den Begriff Krieg aber nicht nur als Bild, sondern warnen auch vor einem echten Bürgerkrieg.

Hetzer: Es sind nicht nur die berühmten Zeichen an der Wand, es sind reale Vorgänge, die durchaus physisch gewalttätigen Charakter haben. Wenn Sie etwa an Situationen in Athen denken – ich war selbst Anfang Mai 2010 dabei -, wo Menschen auch zu Tode gekommen sind im Zuge einer Brandstiftung an einer Bankfiliale. Auch in Neapel oder Madrid oder Rom läuft das nicht nur friedlich ab.

derStandard.at: Das Worst-Case-Szenario sozialer Unruhen begleitet uns ja schon die vergangenen Jahre. Warum glauben Sie, dass es tatsächlich zu einer Radikalisierung kommt?

Hetzer: Was zum Beispiel vor kurzem in Zypern passiert ist, nämlich der Gedanke an die Guthaben der Sparer zu gehen, das wäre schon geeignet gewesen als Auslöser für größere Auseinandersetzungen. Wenn die Leute das Gefühl haben, das Geld, das sie zur Bank gebracht haben, wird als Haftungsgegenstand missbraucht, dann schafft das Existenzängste. Da ist mit einem gepflegten Salonplauderton oft nichts mehr auszurichten. Wenn Sie an die Folgen der Sparpolitik denken, reicht der Spannungsbogen mittlerweile von Griechenland bis Frankreich, wo man auch nicht mehr amüsiert ist über Sparpläne. Auch das Vertrauen in das Projekt Europa schwindet drastisch.

derStandard.at: Bleiben wir beim Beispiel Zypern: Da wurde ja ein Banken-Run auch in Spanien und Italien befürchtet, passiert ist dann aber nichts. Ist das nicht einfach Schwarzmalerei?

Hetzer: Dieser Prozess findet schleichend statt. Natürlich wäre es für die Öffentlichkeit leichter zu verstehen, wenn hie und da sich explosionsartig Empörung breit machen würde. Es gibt ja die Aufforderung von Stéphane Hessel "Empört Euch". Das heißt nichts anderes als "Handelt", "Werdet aktiv" und "Setzt deutliche Zeichen". Aber das geschieht ja nicht. Die Wahlbeteiligung gerade an den Europa-Wahlen ist besonders niedrig. Es findet eine Abwendung statt, man flüchtet sich in soziale Nischen, man sucht das Glück im trauten Heim. Aber diese Resignation ist kein ewiges Konzept. Wenn die Druckverhältnisse so stark ansteigen, dass sich das wie in einem Kochtopf irgendwann entlädt, dann haben wir echte Probleme. In der Gestalt der Bedrohung des sozialen Friedens.

derStandard.at: Die Bedrohung sehen Sie auch in Deutschland oder Österreich?

Hetzer: Im Vergleich zu anderen Ländern gibt es in Deutschland oder Österreich keine Gleichzeitigkeit von Krise und Konflikt. Wir haben die Krise, wir haben besorgniserregende Daten bei der Verschuldung oder bei dem Umfang der Gelder, die im Rettungsschirm stecken. Es sind systemische Risiken vorhanden, für die es keine Lösung gibt. Das ist die Existenzangst auslösende Situation. Auf der anderen Seite gibt es die psychologische Dimension, das Gefühl bedroht zu. 26 Millionen Europäer haben keine Arbeit. Der hohe Anteil der jungen, gut ausgebildeten Arbeitskräfte ohne Job in Südeuropa ist besonders besorgniserregend. Was fehlt, ist eine europäische politische kritische Öffentlichkeit. Da haben wir noch einiges an gemeinschaftlicher Entwicklung vor uns. Wir müssen lernen, über die nationalen Grenzen hinaus zu denken.

derStandard.at: Wie soll sich das ändern, so lange die Länder und auch die Lebensumstände so unterschiedlich sind?

Hetzer: Das ist ein wichtiger Punkt. Das heißt aber nicht automatisch, dass eine Annäherung oder eine Zunahme von Gemeinsamkeiten immer konfliktfrei wäre. Wir kennen das aus persönlichen Verhältnissen: Je besser man sich kennenlernt, umso besser kann man sich verstehen. Aber es kann auch sein, dass Gegensätze härter und unverhüllter aufeinanderprallen. Der Umgang mit Geld, die Frage der sozialen Sicherheit, der individuellen Glücksvorstellungen fließen alle ein in dieses große Gebilde, das fast eine halbe Milliarde Menschen umfasst. Da gibt es kein einheitliches Konzept. Im ökonomischen und politischen Bereich ist die Grundidee, dass Europa als friedensstiftende und friedenserhaltende Maßnahme tendenziell eine Gleichheit der Lebensverhältnisse erreicht. Im Idealfall findet sich dann darin auch eine Form sozialer Gerechtigkeit.

derStandard.at: Daran spießt es sich doch gerade, an den Einzelinteressen.

Hetzer: Das ändert aber nichts am politischen Willen zur Annäherung. Es gibt natürlich Effekte, die störend sind. Denken Sie an die Steuerpolitik in Irland. Wenn Sie einem Unternehmen einen Körperschaftssteuersatz von 12,5 Prozent anbieten, und auch sonst noch Infrastruktur und so weiter anbieten, dann kommen die natürlich. Die Unternehmen bleiben aber auch nur solange es günstig ist. Es findet also zwischen den Ländern – zu recht – ein Wettbewerb statt, das ist auch nicht zu kritisieren. Bloß darf dieser Wettbewerb nicht ungerecht sein und er darf nicht zu sachlich und ökonomisch unbegründbaren Privilegierungen führen. Selbst Luxemburg denkt nach langer Tradition darüber nach, ob die eigene Wirtschaftsleistung und das was Banken erwirtschaften in einem vernünftigen Verhältnis stehen. Es ist Bewegung zu beobachten.

derStandard.at: In Ihrem Buch fordern Sie, dass die 500 Millionen Bürger der EU ihr Schicksal selber in die Hand nehmen mögen und es nicht den paar Hundert Politikern überlassen sollen. Wie sieht denn dieses "das Schicksal in die Hand nehmen" aus?

Hetzer: Das bedeutet zunächst einmal, dass sie sich von niemandem letzte Weisheiten vorhalten lassen, sondern jeden Sachverhalt kritisch auf inhaltliche Richtigkeit, auf Legitimationsaspekte überprüfen sollen. Dass sie die vermeintliche Autorität von Politik thematisieren sollen. Dass sie zur Kenntnis nehmen, dass der Staat im Zuge von Privatisierung zum Beispiel die Altersvorsorge den Bürgern selbst überlässt. Da bewegt sich auch was. Es gibt Formen der Selbstorganisation in der sogenannten Zivilgesellschaft, wo man zum Teil auf die üblichen Rituale repräsentativer Politik verzichtet und in einer größeren Lebensnähe zu den Dingen steht, von denen man selbst und unmittelbar betroffen ist. Bei der Energieversorgung beobachten wir, dass die Menschen vermehrt Solarzellen auf ihre Dächer montieren und sich in Netzen zusammenschließen um der Übermacht der großen Stromanbieter zu entfliehen. Bis hin zu den Fragen Kindertagesstätten, Schulwege, Car-Sharing, Pendler, die sich anders organisieren.

derStandard.at: Also eine innere Veränderung des Systems?

Hetzer: Ich möchte keine Revolution, sondern dass die Menschen begreifen, dass sie keine Lämmerherde sein müssen, dass sie keine Angst vorm bösen Wolf haben müssen und dass der gute Hirte nicht immer gut ist. Und dass sie so viel kollektive Vernunft entwickeln, dass sie den richtigen Weg finden. (Daniela Rom, derStandard.at, 21.5.2013)