Peter Widmann, Bilgi-Universität.

Foto: Maria von Usslar

Das Wiener "Sir Peter Ustinov-Institut für Erforschung und Bekämpfung von Vorurteilen" bot für eine Fachtagung am Montag und Dienstag zu seinem zehnjährigen Bestehen eine Reihe von herausragenden Wissenschaftern auf: Neben Wolfgang Benz (siehe Interview)die Philosophin Agnes Heller (Budapest, New York), die Migrationsforscherin Gudrun Biffl von der der Donau-Universität Krems, Heinz Fassmann, Uni Wien und Chef des Expertenrates für Integration im Innenministerium - sowie Peter Widmann von der Bilgi-Universität Istanbul.

Peter Widmann im Gespräch mit Hans Rauscher

Widmann kommt ursprünglich vom Zentrum für Antisemitismus in Berlin, lehrt aber seit zwei Jahren an der renommierten Istanbuler Privatuniversiät. Sein Thema ist das relativ neue Phänomen der Hate-Crimes im Internet, das ja für fremdenfeindliche Vorurteile zu einem internationalen Hauptumschlagplatz geworden ist.

Widmann: "Die Hemmschwellen sind im Internet deutlich geringer geworden, die Aggressivität, die Radikalität, die Beleidigungen viel stärker - auch was die Möglichkeit betrifft, sich innerhalb einer Szene gegenseitig zu bestärken. Einzelne, die in ihrem Kämmerlein sitzen, aber verstreut über die Länder, können sich jetzt in Minutenschnelle vernetzen." Man treffe da auf Informationen oder Scheininformationen in einer engen Welt, die das bestätigen, was man ohnehin schon glaubt. Das gelte nicht nur für Islamfeinde, sondern für alle möglichen Gruppierungen - man könne in seinem Kosmos bleiben.

Wie groß ist die Gefahr der Selbstradikalisierung? "Das gab es schon vorher, es ist nur einfacher geworden. Allein das Internet macht keine Aktivisten gegen Minderheiten. Vorurteile geben ja die Möglichkeit, eine Gruppenidentität aufzubauen - das ist nichts Neues. Das Internet erlaubt es, das leichter zu kommunizieren, aber es schafft die Vorurteile nicht." Vor 20, 30 Jahren waren die Medien eben auf Papier. Die Situation sei sicher durch die technische Beschleunigung gefährlicher geworden. Man müsse allerdings erst empirisch erforschen, ob das Internet tatsächlich ein solcher Multiplikator im Sinne einer Rekrutierung sei.

"Da gibt es solche, von denen man sagen kann, das sind Spinner, die arbeiten ihre Probleme an Juden, Muslimen, Roma, an den Illuminaten ab. Nur gibt es Themen, wo sie in die Mitte der Gesellschaft hineinreichen." Es sei ein schleichender Prozess, man könne "frei über die Islamisierung der westlichen Welt reden. Verjudung traut sich heute keiner mehr zu sagen, aber es gibt andere Themen, bei denen man keine Sanktionen befürchten muss. Da sind dann der Terrorist von Al-Kaida und der Gemüsehändler um die Ecke im selben Boot."

Die Bilgi-Universität sei ein Ort der kritischen Diskussion, und es falle ziemlich leicht, auf innertürkische Themen wie etwa den Mord an den Armeniern zu kommen. Die Ideen sind oft dem fremdenfeindlichen Diskurs hierzulande ähnlich. Die Außenseiter werden oft als schmutziger als die eigene Gruppe empfunden.

"Da unterscheidet sich der türkische Blick auf die Kurden nicht vom mitteleuropäischen Blick auf die Roma. Insofern rede ich, wenn ich in der Türkei spreche, nicht von einem anderen Planeten, sondern wir kommen eigentlich relativ schnell auf Fragestellungen, die die türkischen Studenten in ihrem eigenen Alltag selbst erleben. Nationalismus ist überall. Die politische Szenerie in der Türkei hat die Eigenheit, dass sich der Nationalismus in einer ziemlich starken Form quer durch das Spektrum zieht, von ganz links bis ganz rechts. Insofern ist er nach wie vor die stärkste Ideologie." (rau, DER STANDARD, 15.5.2013)