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Benz: "Ich vergleiche nicht Juden und Muslime, ich mache nur auf Gemeinsamkeiten in der Abwehr, in der Argumentation gegen die eine oder andere Minderheit aufmerksam."

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Wolfgang Benz: Ein Lebenswerk der Erforschung des Antisemitismus.

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Video: Wolfgang Benz im Gespräch mit Hans Rauscher

STANDARD: Wenn wir uns umsehen, so ist der Antisemitismus in Deutschland und Österreich doch zurückgedrängt, hebt aber anderswo, etwa in Ungarn, ganz öffentlich sein Haupt. Hört das nie auf?

Benz: Ich fürchte, das hört nie auf. Alles, was man tun kann nach meiner Erfahrung, ist, den Antisemitismus unter Kontrolle zu halten. Im Privaten kann man das nicht kontrollieren, aber dass sich die Gesellschaft darauf einigt, das als unzulässig zu betrachten, ist die einzige Möglichkeit. In Deutschland und in Österreich ist es gelungen. So weit sind aber manche Länder wie Ungarn, Polen oder Russland noch nicht.

STANDARD: Eine sehr realistische Erkenntnis.

Benz: Die Hoffnung ist, dass die Leute ein bisschen vernünftiger werden, dass man sie mit etwas Nachdruck auf dem richtigen Weg halten kann. Aber Judenfeindschaft ist ja nicht das einzige Problem. Was mich zunehmend bewegt, ist die Diskrepanz zwischen einer Holocaust-Erinnerungskultur, die in einem gesellschaftlich konsensfähigen Philosemitismus verankert ist, aber gleichzeitig andere Minderheiten mit denselben Methoden wie die Juden ausgrenzt, insbesondere Muslime, aber auch zunehmend die Sinti und Roma. Das lässt sich für viele mühelos unter einen Hut bringen.

STANDARD: Bei der Fachtagung des Ustinov-Instituts wurden Sie von der Philosophin Agnes Heller - verkürzt - gefragt, warum ausgerechnet die Juden als Hassobjekt? Sie haben gesagt - verkürzt - keine Ahnung. Nun gibt es die These von Götz Aly, dass Juden vor allem im 19. Jahrhundert im Zuge ihrer forcierten Emanzipation so erfolgreich waren, dass sie automatisch den Neid anderer auslösten.

Benz: Erstens habe ich nicht gesagt, keine Ahnung, sondern dass ich kein schlüssiges Modell habe, außer dem Hinweis auf die lange Tradition. Zweitens halte ich die Thesen von Götz Aly für vollkommen irrelevant und vollkommen irreführend. Denn das ist selbst schon ein Vorurteil, dass die alle so schrecklich erfolgreich waren, der größte Teil der Juden waren arme, kleine Leute.

STANDARD: Sie erregen seit einigen Jahren Aufsehen mit dem Standpunkt, wonach die Islamfeindlichkeit von heute einen sehr hohen Deckungsgrad mit der Judenfeindlichkeit von damals aufweise.

Benz: Das gibt es heute nicht gegen Juden. Aber wenn Sie sich die Mühe machen, die Internet-Blogs anzusehen, dann finden Sie anti-islamische Hass- und Vernichtungsfantasien.

STANDARD: Ist das Toben in den Foren wirklich mit dem Judenhass von damals, schon vor Hitler, zu vergleichen?

Benz: Ich übertrage nicht eins zu eins. Ich vergleiche auch nicht Juden und Muslime. Ich mache nur auf Gemeinsamkeiten in der Abwehr, in der Argumentation gegen die eine oder andere Minderheit aufmerksam. Wenn ich im 19. Jahrhundert schon Talmudhetze finde - also dass der Talmud den Juden befiehlt, bösartig gegen die anderen zu sein - dann gibt es heute genau dasselbe mit dem Koran. In jede Veranstaltung von mir kommen Leute, die vor Wut schäumend fragen, ob ich denn nicht wisse, dass in 60 Suren des Koran zu Mord und Totschlag gegen die Christen aufgerufen werde. Dann sage ich, ich kann Ihnen weder den Talmud noch den Koran erklären, nur Verhaltensweisen gegen unterschiedliche Minderheiten, das wäre auch zu beweisen.

STANDARD: Sie haben eine Art Dreischritt gezeichnet: Zunächst erfolgt die Definition des anderen, der Minderheit, dann geht das über in die Diskriminierung, schließlich in die Verfolgung. Wo halten wir da in der Islamdebatte?

Benz: Sehr viele sind mit der Definition beschäftigt. Sie verlangen nach Maßnahmen: Vertreibt sie, lasst keinen Weiteren herein. Das Entscheidende ist, wer tut es dann? Wenn es Leute sind, die auf ihr Recht der Meinungsfreiheit auf pöbelhafte Weise pochen, dann muss man es beobachten. Gefährlich wird es, wenn sie mit dieser Demagogie Mandate erringen und in die Regierung kommen. Das haben wir mit Hitler erlebt.

STANDARD: Was bedeutet es, dass die deutschen Verfassungsschutzorgane neun Jahre lang die Morde an türkischstämmigen Deutschen ignoriert haben?

Benz: Entweder Polizei und Geheimdienst waren in einem Ausmaß inkompetent, dass man sie alle entlassen muss. Oder aber, das ist noch böser, sie haben ganz bewusst die Opfer als Täter im Sinne einer Mafiafehde betrachtet. Das wären dann schon die Auswirkungen der Muslimfeindschaft. Ich halte das für einen der ärgsten Skandale der deutschen Demokratie, seit es sie gibt. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 15.05.2013)