Bei der Militärparade zum Tag des Sieges in der vergangenen Woche präsentierte die russische Führung noch stolz ihre neueste Luftabwehr: den Komplex S-400 "Triumf". International gehören die Schlagzeilen hingegen dem Vorgängersystem S-300. Denn Russland will sechs Abschussrampen und 144 Raketen dieses Typs ausgerechnet ins Bürgerkriegsland Syrien schicken. Der Wert der Lieferung, die spätestens im Sommer abgewickelt werden soll, beläuft sich auf 900 Millionen Dollar (692 Mio. Euro).

Im Westen schrillen deswegen die Alarmglocken. Sowohl US-Außenminister John Kerry in Moskau als auch Großbritanniens Premier David Cameron in Sotschi versuchten den Kreml von einer Lieferung abzubringen. In Warschau musste sich Russlands Außenminister Sergej Lawrow den unangenehmen Fragen seiner Kollegen Guido Westerwelle (Deutschland) und Radoslaw Sikorski (Polen) zum Thema stellen.

Russland: Handelt sich um Verteidigungswaffe

Die Forderung, Waffenlieferungen nach Syrien einzustellen, um den Verhandlungsprozess in Gang zu bringen, ließ Lawrow diplomatisch abprallen: Neue Verträge würden nicht geschlossen, versicherte er. Die bestehenden Abkommen werde Russland aber erfüllen, zumal der S-300-Komplex nicht im Bürgerkrieg eingesetzt werden könne. "Es handelt sich um eine Verteidigungswaffe, die dafür gedacht ist, dass sich Syrien vor Luftschlägen schützen kann. Das ist ja kein phantastisches Szenario" , spielte der russische Chefdiplomat auf die jüngsten Luftangriffe Israels auf syrisches Territorium an.

Tatsächlich dient das S-300-System der Abwehr von Kampfflugzeugen, Drohnen und Raketen - Waffen, die die Aufständischen nicht haben. Bei einer internationalen Eingreifaktion, die Russland ohnehin ablehnt, könnten die Luftabwehrraketen hingegen für Bashar al-Assad Goldes wert sein. Der Politologe Fjodor Lukjanow erklärt das Festhalten an der Lieferung zudem mit der Sorge Moskaus um seinen Ruf als "zuverlässiger Waffenlieferant". Es gehe dabei weniger um Syrien als um andere potenzielle Abnehmer. Russland ist mit 11,4 Milliarden Euro Absatz zweitgrößter Waffenexporteur weltweit.

Kaum Chancen für Netanjahu bei Putin

So dürfte auch der für heute, Dienstag, geplante Blitzbesuch von Israels Premier Benjamin Netanjahu in Sotschi keine Früchte tragen. Netanjahu will Russlands Präsident Wladimir Putin inoffiziellen Angaben zufolge außerdem zur Einrichtung einer Flugverbotszone in Syrien überreden.

Die Erfolgschancen gelten allerdings als gering, nachdem Russland 2011 in Libyen - noch unter Präsident Dmitri Medwedew - einem solchen Verbot zugestimmt hatte und sich anschließend übervorteilt fühlte. Einige politische Beobachter meinen, die Pleite damals sei ein Grund für Putins Rückkehr in den Kreml gewesen. (André Ballin, DER STANDARD, 14.5.2013)