Polly Higgins (44) wuchs im schottischen Stirlingshire nahe Loch Lomond in den Highlands auf, die Juristin spezialisierte sich in London auf Arbeitsrecht. Ihr Buch "Eradicating Ecocide" gewann den People's Book Prize

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Ein Ölleck im Niger-Delta nahe einer Anlage des Konzerns Exxon verschmutzt Farmland und sorgt für eine Umweltkatastrophe.

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STANDARD: Sie haben den Vereinten Nationen den Vorschlag unterbreitet, Ökozid, also Umweltverbrechen, unter Strafe zu stellen. Wo sehen Sie weltweit derzeit die größte Umweltzerstörung?

Higgins: Bei der Abholzung des Regenwaldes im Amazonasgebiet findet ein enormer Ökozid statt. Wir wissen, dass bestehende Umweltgesetze nicht greifen. Das hat viele Gründe, der wichtigste aber ist: Es ist kein Verbrechen, die Umwelt nachhaltig zu beschädigen. Ähnlich ist es beim Abbau von Öl aus den Teersänden Kanadas oder bei der Ölförderung im Niger-Delta. Auch gentechnisch veränderte Organismen, Nuklearwaffen oder nuklearer Abfall können für zukünftige Generationen ein Potenzial für Ökozid sein.

STANDARD: Oft wird Raubbau an der Natur mit wirtschaftlichen Notwendigkeiten begründet. Wie kann das ein Gesetz vermeiden?

Higgins: Wir haben Umweltgesetze, die nur auf Geldstrafen abzielen. Bußgelder sind nichts anderes als "Fang mich wenn du kannst"-Gesetze. Oft spielen Konzerne mit diesem Risiko, kalkulieren es mit ein. Gemeinschaften, die von Umweltzerstörung betroffen sind, können klagen. Aber oft haben sie weder die finanziellen Möglichkeiten noch das juristische Wissen dazu. Wird aber Ökozid ein Verbrechen, ändert sich ein fundamentales Prinzip. Konzerne müssen sicherstellen, dass es keine massiven Eingriffe ins Ökosystem gibt. Wird doch eine Umweltzerstörung festgestellt, müssen Vorstandsvorsitzende und Direktoren persönlich Verantwortung übernehmen. Es wird Aufgabe des Staates und nicht von Privatpersonen sein, diese vor Gericht zu stellen.

STANDARD: Die weltweiten CO2-Ausstöße steigen trotz des Kioto-Protokolls jährlich an. Die USA sind gar nicht dabei, Kanada ist aus dem Abkommen ausgestiegen - ohne Konsequenzen. Wie kann ein Ökozid-Gesetz ein wirksameres Klimaschutz-Instrument sein?

Higgins: Es soll nicht darum gehen, die Umweltverschmutzer mit Bußgeldern zu bestrafen. Es soll gar nicht erst zur Bestrafung kommen. Wenn Konzerne Umweltrichtlinien befolgen müssen, sind sie in einer sicheren Position, haben nichts zu befürchten. Das Problem sind die derzeit gültigen Gesetze. Sie zielen darauf ab, die Wirtschaft anzukurbeln, die Maximierung von Profit steht an vorderster Stelle. Als mit der Ölförderung begonnen wurde, haben wir nicht gewusst, dass es einmal zu massiver Umweltzerstörung kommen kann. Aber wir wissen es jetzt. Mit dem Ökozid-Gesetz sollen aber keinesfalls Konzerne zum Kollabieren gebracht werden. Probleme könnten zu Lösungen werden: Unternehmen, die schmutzige Energie erzeugen, könnten auf erneuerbare Energien umsatteln. Für Innovationen sollte einfach in die andere, grüne Richtung geforscht werden.

STANDARD: Wo stehen Sie mit Ihren Bemühungen um dieses Gesetz?

Higgins: Ich habe ein Konzeptpapier erarbeitet, das Ökozid als fünftes Verbrechen gegen den Frieden definiert. Ich habe es allein im Vorjahr 54 Regierungen präsentiert. Der Zeitplan würde vorsehen, dass das Gesetz 2015 implementiert wird. Nach einer Übergangsfrist von fünf Jahren wäre Ökozid ab 2020 strafbar. Bis dahin könnte es eine Art Amnestie für Unternehmen geben, kein großer Konzern hat in Sachen Umweltschutz saubere Hände.

STANDARD: Sie bräuchten nur einen einzigen Staatschef, der Ihren Antrag unterstützt und vor der UN-Versammlung zur Abstimmung bringt. Dann müsste sich noch eine Zweidrittelmehrheit der Staaten, also 81, dazu bekennen. Wie viele Nationen unterstützen Sie?

Higgins: Wenn es eine einzige Nation gäbe, hätten Sie mit Sicherheit schon davon gehört. Noch ist kein Meinungsführer für das Gesetz aufgestanden. Aber ich hatte Gespräche mit vielen Regierungspolitikern, und viele von denen haben mir gesagt: Es muss etwas passieren! Jedes Land auf dieser Welt weiß von diesem Gesetzesvorschlag. Es braucht nur einen Regierungschef, der aufsteht und das auch öffentlich sagt. Ich bin nur eine Juristin, die eine ziemlich große Idee gehabt hat.

STANDARD: Welchem Land würden Sie die Rolle am ehesten zutrauen?

Higgins: Mein Instinkt sagt mir, dass ein kleines Land ein größeres Potenzial hat, für diese Sache einzutreten. Es wird nicht in diesem Ausmaß von wirtschaftlichen Interessen getrieben wie große Nationen, etwa die USA. Es braucht eine moralische Führungspersönlichkeit, wer für dieses Gesetz als Erstes eintritt, wird in die Geschichte eingehen. Ich lade nur dazu ein. Es würde mich freuen, wenn Österreich diesen ersten Schritt setzen würde.

STANDARD: Es gab schon einmal den politischen Vorstoß, Ökozid als Verbrechen im sogenannten Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs festzuschreiben. Was können Sie darüber sagen?

Higgins: Wir wissen aus internen UN-Dokumenten, die erst 2012 öffentlich wurden, dass sich 1996 nur vier Staaten dagegen ausgesprochen haben, Ökozid auf die Liste zu setzen: Großbritannien, USA, Frankreich und die Niederlande. Das Problem dabei: Alles passierte hinter verschlossenen Türen. Österreich hat wie viele andere Nationen die Idee unterstützt und - mehr noch - die Entscheidung beanstandet, Ökozid von der Liste zu nehmen. Wir wollen jetzt einen öffentlichen Entscheidungsprozess kreieren.

STANDARD: Gab es ein Schlüsselerlebnis für Ihr juristisches Engagement für die Umwelt?

Higgins: Vor sieben Jahren hatte ich einen dieser erleuchtenden Augenblicke im Leben. Da dachte ich bei einem Blick aus dem Gerichtsgebäude, dass die Erde einen guten Anwalt brauchen könnte. Ich habe mir ein Jahr Auszeit genommen. Das Jahr ist bis jetzt noch nicht vorbei. Mein Bankbetreuer hat mich einmal gefragt, wann ich denn wieder zu einem Job mit geregeltem Einkommen zurückkehren werde. Ich habe ihm gesagt, dass es dafür wohl zu spät ist. (David Krutzler, DER STANDARD, 10.5.2013)