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Besser als gereimte Muttertagswünsche: ganzjährige Liebe.

Foto: APA/dpa/Patrick Pleul

Seit, Mütter, Euch der Hafer sticht, / seid Ihr auf Kinderlob erpicht. / Es waren Methodisten-Frauen. / In ihrer Kinder Augen schauen / wollten sie braver Fürsorg' Lob! / Die Kinder wurden wirr dar­ob. / Das war um Neunzehnhundertsieben, / Floristen sich die Hände rieben. / Doch kostet ein Gesteck viel Geld, / das einem Kind dann anderwärts fehlt!

Die einen pflückten büschelweis' / die Blütenpracht im Wohnumkreis. / Was mussten Tulpen, Nelken büßen, / was sah man Primeln sich vertschüssen. / Und selbst die lila Fliederdolden / waren nicht sicher vor Unholden!

Um wie viel leichter ist es da, / zu reimen Verse Paar um Paar. / Als man der Mütter Lob einführte, / bekam jede, was ihr gebührte. / Anstatt das Frühstück anzurichten, / fingen die Kinder an zu dichten. / Es tauscht der schlimmste Fratz die Tilke / gegen das Süßholz eines Rilke. / Aus allen Kindkrippen schallt es / im Dichterton nach Otto Waalkes. / Bergbauernkinder, Vorstadt-Rangen, / sie alle ringen, alle bangen / um Zeilenfall und Strophenbau. / Die Lieb' erstickt im Silbenstau.

Doch ist der Muttertag vor allem / ein Werk Erwachsener, ein Qualm / und Dunst aus Mittelwesten. / Wer waren denn die Klassenbesten? / Als Tag der Blumenwünsche fing es an, / doch damit war's noch nicht getan.

Es regnete bald Mutterkreuze, / die allerschlimmsten Nazi-Käuze / versteckten die Unmenschlichkeit / in ihrer Mutterliebe Kleid. / Dar­um behielt zuletzt auch Recht / der große, ungerührte Bertolt Brecht: / "Sah das braune Hemd dich tragen / Habe mich nicht dagegen gestemmt. / Denn ich wusste nicht, was ich heut weiß: / Es war dein Totenhemd."

Zu anderer Gelegenheit / wob Brecht an einem Mutterkleid. / Es ist in seiner Form durchscheinend. / Man sieht ihn, Brecht, beinahe weinend, / was seine Art gewiss nicht war. / Man spürt ihn seines Hochmuts bar, / den Umstand, dass sie tot, besingend, / um Fassungskraft und Ausdruck ringend. / Wenn sie noch wäre, meint er sinnend, / müsste er jetzt die Händ' nicht ringen.

Darum ist Mutterlob ein Werk, / das übers Jahr die Mutter ehrt. / Besser als Muttertagspoeme / sind überströmende / Bekundungen von Dankbarkeit. / Sonst strickt der Vers ein Totenkleid, / an dem sich niemand sonst erfreut. / Damit es nicht wie Brecht geschehe, / der seines Mannestums sich schämte, / als es zu spät war für sein Lied. / Dar­um er also schrieb: "Aber das Wichtige haben wir nicht gesagt, sondern gespart am Notwendigen."  (Ronald Pohl, DER STANDARD, 11./12.5.2013)