Fast 300 Menschen verbrennen im September in einer Textilfabrik in Pakistan. Kurz darauf wiederholt sich das Szenario in einer Schuhfabrik, 25 Menschen sterben qualvoll. Im November sind 112 Mitarbeiter einer Fabrik in Bangladesch im Feuer gefangen, denn aus Angst, dass Stoffreste gestohlen werden, wurden die Fenster vergittert und Notausgänge versperrt. Zusammen mit den Opfern vom April und Mai sind in einem halben Jahr mindestens 1500 Menschen in Textilfabriken ums Leben gekommen.

Was sich liest wie ein schrecklicher Zufall, ist keiner. Es liegt in der Struktur. Kein Land produziert so billig Kleidung wie Bangladesch. Sogar China kann bei Monatslöhnen unter 40 Euro nicht mehr mithalten. Wer jetzt schreit "Es brennt, weil wir billig einkaufen wollen", greift zu kurz. Die Nachfrage nach billiger Produktion hat dem bettelarmen Bangladesch zu einem jährlichen Wirtschaftswachstum von fünf Prozent verholfen, und das seit den 1990er-Jahren. Der Großteil der 3,5 Millionen Arbeiter in der Branche sind Frauen, die mit ihrem Lohn - auch wenn er noch so gering ausfällt - nachweislich zur Bildung und Gesundheit ihrer Kinder beitragen. Ziehen sich weitere Konzerne aus der Verantwortung, bleibt bis auf Sexarbeit nicht viel übrig, um die Familie durchzubringen.

Zum anderen spielt das Argument, der Konsument in seiner Gier verantworte die Arbeitsbedingungen, Konzernen in die Hände, die sich davor drücken, die Löhne anzuheben. Das Ausweichen auf teurere Marken ist keine Garantie für bessere Bedingungen, wie die Benetton-Hemden in der Fabriksruine bezeugen. "Der Käufer ist schuld" ist eine billige Ausrede, um Lieferanten nicht zu überprüfen oder die Produktionskonditionen nicht zu veröffentlichen.

Der TÜV Rheinland soll in vier Besuchen der zum Teil illegal errichteten Fabrik keine Mängel festgestellt haben, bevor mehr als 1000 Menschen darunter begraben wurden. Jetzt will sich auch das Prüforgan abputzen: Baumängel seien ja auch nicht Gegenstand des Audits gewesen.

Die Arbeitsbedingungen sind so miserabel, dass sie mit Leichtigkeit verbessert werden können, ohne dass der Konsument dies in seinem Börserl spüren müsste. Natürlich kann sich der Käufer an der Nase nehmen und fragen, ob er wirklich ein Shirt kaufen will, das weniger kostet als ein besserer Kaugummi. Doch wenn internationale Konzerne keine rechtlichen (und finanziellen!) Konsequenzen zu fürchten haben, wird sich schlichtweg gar nichts ändern. (Julia Herrnböck, DER STANDARD, 11./12.5.2013)