"Frachtschiffe offerieren kein Glaubensangebot, sie sind ein Tempel des Purismus, ein illusionsfreier Raum." Blick von der Pacific Link auf Hongkong.

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der Standard: Sie sind mit dem Frachtschiff um die Welt gefahren. Warum?

Franz Hammerbacher: Die Idee kam mir, als ich vor einigen Jahren Peacekeeping-Soldat im Kosovo war. Unser Camp bestand aus Containern. Die Unterkünfte, das Feldpostamt, der Speisesaal, die Lagerräume, einfach alles war aus standardisierten Containern. Damals wurde mir klar: Container sind nicht nur unsere Gegenwart, sondern viel mehr noch unsere Zukunft. Aus dieser Faszination entstand die Idee, ins Zentrum dieser Containerwelt vorzudringen. Und dieses Zentrum ist die Frachtschifffahrt.

der Standard: Hat sich Ihr Verhältnis zum Container seitdem verändert?

Franz Hammerbacher: Einen Container zu bewohnen, finde ich unverändert schrecklich. Aber es fällt leichter, die Malaise zu akzeptieren, wenn man mehr über sie erfährt. Im konkreten Fall hat der Container unser Leben nachhaltig verändert. Mehr als 90 Prozent aller in die EU eingeführten Konsumgüter werden mit Containerschiffen importiert. Das weiß kein Mensch. Das wird nicht thematisiert.

der Standard: Warum nicht?

Franz Hammerbacher: Die gesamte Container-Frachtschifffahrt findet außerhalb des Wahrnehmungsbereichs der Menschen statt. Die modernen Frachtschiffhäfen befinden sich alle fernab der Städte. Meist gibt es auch keine öffentlichen Verkehrsmittel, die dorthin fahren. Das heißt, man ist aufs Taxi angewiesen. In Rotterdam kostet die einfache Fahrt vom Hafen in die Stadt 130 Euro. Das ist weit.

der Standard: Insgesamt haben Sie 16 Containerhäfen besucht. Sehen die nicht alle gleich aus?

Franz Hammerbacher: Doch. Die Häfen werden einander immer ähnlicher. Sie unterscheiden sich eigentlich nur noch in der Größendimension.

der Standard: Sie waren in San Francisco, Hongkong, Panama und Jamaika. Wollten Sie nie aussteigen? Nie an Land gehen? Nie bleiben?

Hammerbacher: Nein. Der Seeweg war das Ziel. Es ging mir nicht um die Orte an Land, nicht um Tourismus im klassischen Sinne, sondern einzig und allein um das Unterwegssein auf einem Containerschiff. Die Landgänge waren nur eine willkommene Abwechslung.

der Standard: Und? Wie lebt es sich als Seemann?

Franz Hammerbacher: Das kann ich nicht sagen, ich durfte ja in keiner Minute Seemann sein. Es ist einem Passagier verboten, Arbeiten an Bord zu übernehmen! Ich war in erster Linie teilnehmender Beobachter. Ich habe eine gewisse Obsession für die Soziologie kleiner Verbände. Insofern waren die Containerschiffe für mich ähnlich befriedigend wie zuvor schon das Camp Casablanca im Kosovo.

der Standard: Was macht man dann den ganzen Tag, ohne Animation an Bord?

Franz Hammerbacher: Man ist auf sich selbst zurückgeworfen, es gibt kein Entertainment, und es wird auch gar nicht erst versucht, einem etwas vorzuflunkern, denn der Passagier spielt an Bord keine Rolle. Er ist ein Niemand. Es gibt eine Passage in meinem Buch Passagen, da schreibe ich: "Frachtschiffe offerieren kein Glaubensangebot, sie sind ein Tempel des Purismus, ein illusionsfreier Raum." Das ist wirklich so. Nicht alle können damit umgehen. Manche Passagiere werden lästig und wollen permanent mit dem Radar spielen, andere gehen in die Beobachtung und beschließen, ein Buch zu schreiben.

der Standard: Sie waren auf drei Frachtschiffen unterwegs: Zim Ontario, Pacific Link und Norma. Gibt es Unterschiede?

Franz Hammerbacher: Es macht einen sehr großen Unterschied, unter welcher Flagge ein Schiff unterwegs ist. Deutsche Flagge bedeutet: deutsche und polnische Offiziere und philippinische Arbeitsmannschaft. Auf einem französischen Schiff wiederum findet man vor allem rumänische Arbeiter. Die jeweilige Flagge hat in erster Linie arbeitsrechtliche Gründe. Aber natürlich hat das auch Auswirkungen auf die kulinarische Mikroszene. Wenn mitten auf dem Pazifik ein Philippino in der Küche steht und deutsche Hausmannskost zubereitet, dann kann das nicht gutgehen. Dann entscheidet man mitunter, gar nicht mehr zum Essen zu erscheinen.

der Standard: Essen die Franzosen besser?

Franz Hammerbacher: Ja. Auf der Norma hatte das Essen tatsächlich einen sehr hohen Stellenwert. Die Zubereitung ist vorzüglich, man nimmt sich dafür ausreichend Zeit, man plaudert und trinkt zu jeder Mahlzeit eine Flasche Wein. Die Norma hat geholfen, mein maritim-kulinarisches Trauma zu überwinden.

der Standard: Die Schiffsreise hat genau 80 Tage gedauert. Zufall?

Franz Hammerbacher: Absoluter Zufall. Mit etwas weniger Glück hätte sie auch 70 oder 100 Tage dauern können. Frachtschiffe haben keine so fixen Fahrpläne. Die Termine sind nur ein Anhaltspunkt.

der Standard: Aber es freut Sie doch, dass es dann 80 geworden sind, oder?

Franz Hammerbacher: Durchaus! Der literarische Assoziationsraum, der sich da öffnet, ist mir nicht unrecht. Eine Weltumrundung in 80 Tagen hat seit Jules Verne eine Faszination, der man sich nicht entziehen kann.

der Standard: Die Reise ist zu Ende. Haben Sie schon wieder Fernweh?

Franz Hammerbacher: Ich bin derzeit als UN-Soldat im Libanon im Einsatz. Und ich wohne, Sie werden es kaum glauben, in einem Container mit Meerblick, einem furchtbar dünnwandigen. Mein aktuelles Bedürfnis ist eher, nach Hause zu kommen. Aber künftige Aufbrüche sind unvermeidlich. (Wojciech Czaja, DER STANDARD, Rondo, 10.5.2013)