Minizimmer für 300 Euro im Monat: In einem Altbau im Wiener Bezirk Brigittenau sind Iraker, Afghanen, Somalier, gestrandet.

Foto: Christian Fischer

Mit "jeder Menge Kakerlaken" als Gästen.

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Wien - Fatih traute den neuen Herren nicht mehr als den alten. In Saddam Husseins Armee hatte er gegen die Amerikaner gekämpft, bis zur letzten Patrone, "weil man sonst exekutiert wurde". Als nach der Niederlage immer noch Bomben explodierten, suchte der Soldat das Weite. Über Jordanien, die Türkei und den Balkan führte die Odyssee, die letzten zwei Kilometer schlich er zu Fuß über die österreichische Grenze. Doch ob sich die Flucht gelohnt hat, darüber ist sich Fatih zehn Jahre danach nicht mehr sicher. "Leben kann man das nicht nennen", sagt er: "Ich existiere."

Zehn Quadratmeter Freiheit

Fatih M.s (Name geändert) Freiheit misst zehn Quadratmeter, ein Schlauch mit einem Fenster. Die Innenscheibe ist kaputt, der Matratzenüberzug zerschlissen, als Tischtuch dient Zeitungspapier. Sein Hab und Gut hat der Iraker in zwei Resopalkästen gequetscht - aus einem ist die Tür gebrochen, aus dem anderen die Rückwand. In der Ecke lehnt ein Teppich, er hat auf dem klebrigen Laminatboden keinen Platz. "Jede Menge Kakerlaken" zählt Fatih zu den gelegentlichen Gästen. Auch Ratten hat er schon gesichtet.

Männer mit "subsidiärem Schutz"

Zwanzig solcher Kojen gibt es allein im dritten Stock des Altbaus in der Wiener Kluckygasse. Arabeske Musik dringt durch die Spanplattenwände, in einem Raum hängt ein Bild aus Somalia, in einem anderen ein Banner des Kurdenführers Öcalan. Getroffen hat DER STANDARD hier Männer aus Krisengebieten, denen Österreich "subsidiären Schutz" gewährt, eine Art Flüchtlingsstatus zweiter Klasse. Im Massenquartier im Bezirk Brigittenau versuchen sie das, was Politiker und Gesellschaft erwarten: auf eigenen Beinen zu stehen. Doch der Preis dafür ist hoch.

300 Euro Miete

300 Euro zahlt Fatih im Monat für seine Kammer mit Bett und lädiertem Mobiliar - macht pro Quadratmeter das 18-Fache jener 1,62 Euro, die das Gesetz als Obergrenze für Substandardwohnungen festlegt. Mit dabei sind Betriebskosten sowie die Ausgaben für Gas und Strom, die im dicht belegten Stock laut Abrechnung satte 39 Euro pro Zimmer ausmachen. Aber auch inklusive dieser Posten dürfte die Miete für zehn Quadratmeter maximal 85 Euro betragen, rechnet Walter Rosifka von der Arbeiterkammer vor - und nicht die drei kassierten Hunderter. Dem Konsumentenschützer drängt sich der Verdacht des Wuchers auf (siehe Wissen): "Ich würde beinhart vor Gericht gehen."

Hamed S. klagt ausgiebig - über sein Leid als Vermieter. Ein Geschäft mache er höchstens dann, wenn alle Bewohner brav zahlten, "doch ich muss darum betteln. Normalerweise lieben Vermieter den Zahltag. Ich hasse ihn."

Wie im "Kindergarten"

Dicke Ordner hat S. als Beweis für seine Unbill mitgebracht, und einen redseligen Assistenten, der dem Chef jedes dritte Wort aus dem Mund nimmt. Herr S., erklärt der Gehilfe, sei selbst Opfer; ausgesackelt vom Hauseigentümer, der ihm, der ja nur Untervermieter ist, horrende Mieten abverlange, geplagt von Bewohnern, die "wie in der Wüste" hausten und den Zins prellten.

"Der erste Besuch im Haus war auch für mich ein Kulturschock", sagt der Adlatus. "Das sind junge Männer, die nie gewohnt waren, ihren Müll wegzuwerfen." Dass täglich jemand zum Putzen und Reparieren ausrücken müsse, treibe die Kosten ebenso in die Höhe wie fahrlässiger Umgang mit dem Inventar: "Eine Zigeunerfamilie hat im Winter mit offenem Gasofen geheizt." Wie im "Kindergarten", ergänzt Hamed S.

Der sauberste Ort im Haus

Wenn sich alles angeblich nicht rechnet - warum dann vermieten? Wieder springt der Assistent ein: "Hamed weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer es ein Asylwerber hat. Er will helfen, wird aber brutal ausgenützt."

Der sauberste Ort im Haus zählt nicht zum Angebot von Hamed S.: Es ist die mit weichen Teppichen und goldverzierten Büchern ausgestattete "Moschee" im Keller, in die ein misstrauischer Bursche mit flaumigem Vollbart ("Sind Sie vom Verfassungsschutz?") einen Blick gewährt. Drei Stockwerke darüber hingegen klebt Dreck an Boden und Wänden der Gänge. In der Gemeinschaftsküche vermischen sich Essensreste mit Rost, am Klo Wasserflecken mit Kotspritzern - das Gesundheitsamt rückte schon wegen einer Schabeninvasion aus.

Im eisigen März sei tagelang die Heizung ausgefallen, erzählt ein junger Afghane, dessen Zimmer ein speckiger Spannteppich, ein gesprungener Spiegel und eine verdorrte Rose an der Wand zieren. Für geschätzte acht Quadratmeter zahlt auch er 300 Euro.

Rechtliche Handicaps als Ursache

"Kein Einzelfall" seien solche "dramatischen" Zustände, sagt Christoph Pinter, Leiter des Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Österreich, und sieht rechtliche Handicaps als Ursache. Subsidiär Schutzberechtigte bekommen ihren Status immer nur für ein Jahr erteilt - doch wer vergibt Jobs oder Wohnungen gerne an Leute, die vielleicht bald wieder aus dem Land fliegen?

Pinter fordert deshalb gleiche Rechte wie für "normale" Flüchtlinge ein, so auch Zugang zu den Gemeindebauten in Wien. Eine Nachfrage des STANDARD beim schwarzen Innenministerium und der roten Stadtregierung lässt jedoch erahnen: Der UNHCR wird abblitzen (s. u.).

"Habe keine 3000 Euro"

Absagen ist Salih K. gewöhnt. Selten genug für einen Schutzbedürftigen, hat er einen Hilfsjob bei einer Leiharbeiterfirma ergattert, doch mit den 800 Euro im Monat, auf die er samt Mindestsicherung kommt, steht er auf verlorenem Posten. "Für ordentliche Wohnungen muss man Provision und Kaution zahlen", erzählt Salih, "doch ich habe keine 3000 Euro." Seit drei Jahren hängt er deshalb hier fest, wo er jeden Abend erst Möbel verrücken muss, um Platz für seine Matratze zu schaffen.

Auf der Suche nach Arbeit und Unabhängigkeit

Wie viele andere, die in abgelegenen Asylwerberheimen auf dem Land untergebracht waren, trieb Salih die Suche nach Arbeit und Unabhängigkeit in die Stadt. Hier bieten Hilfsorganisationen zwar öffentlich geförderte Startwohnungen an, doch das Gros steht nur "echten" Flüchtlingen offen - und das Angebot schrumpft. Als der Integrationsfonds des Innenministeriums vor zwei Jahren die eigenen Unterkünfte aufgab, gingen 330 Wohnungen verloren. "So mies die privaten Massenquartiere auch sind", sagt Andreas Gampert vom Flüchtlingsdienst der Diakonie, "für die Betroffenen sind sie oft die einzige Chance."

Das ist Vermieter Hamid S. und seinem Gehilfen längst klar. "Hand aufs Herz", sagt Letzterer, "Würden Sie Leuten wie diesen eine Wohnung anbieten?" (Gerald John, DER STANDARD, 10.5.2013)