In Österreich müssen die Anrainer zustimmen, bevor ein Windrad gebaut werden kann.

Foto: IG Windkraft

Stefan Moidl will "den Atomstrom aus den Netzen blasen".

Foto: IG Windkraft

In Österreich produzieren mittlerweile 763 Windränder Strom für rund 787.000 Haushalte, was immerhin 20 Prozent entspricht. Im gesamten europäischen Stromnetz fließen bis dato etwa sechs Prozent Windenergie. Bis zum Jahr 2020 soll dieser Wert auf bis zu 18 Prozent steigen.

Stefan Moidl, Geschäftsführer der Interessenvertretung IG Windkraft, hat langfristig noch größere Wünsche: Er würde mit Windenergie gerne den kompletten Atomstrom aus den Netzen blasen. Im Interview spricht er über geschürte Ängste, die Sinnhaftigkeit der deutschen Stromautobahnen und die "perversen Vorschriften", die beim Bau einer Windkraftanlage zu erfüllen sind.

derStandard.at: Kurt Misak vom österreichischen Netzbetreiber Austrian Power Grid behauptet, alternative Energiequellen würden wegen des Klimawandels die Gefahr von Blackouts steigen lassen. Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf Windenergie tatsächlich?

Moidl: Es ist noch nicht detailliert untersucht, wie sich die Windverhältnisse in den kommenden Jahren verändern könnten. Ebenso wenig gibt es profunde Aussagen zu den zukünftigen Niederschlagsverhältnissen. In der Klimaforschung sind die Temperaturen einfacher zu prognostizieren. Prinzipiell hat Österreich sehr gute Windverhältnisse. Das ist darin begründet, dass es ein westliches und ein östliches Windsystem gibt, die sich im Raum nördliches Burgenland bis ins Weinviertel treffen. Dadurch ist die Jahresauslastung sehr gut. Dass die erneuerbaren Energien die Gefahr von Blackouts erhöhen, bezweifle ich aber.

derStandard.at: Im Vorfeld dieses Interviews haben Sie von Gerüchten über Windenergie gesprochen, die im Umlauf sind und nicht stimmen. Können Sie Beispiele nennen?

Moidl: In Österreich gibt es immer wieder Diskussionen, ob es genug Wind gibt, um Windkraftanlagen wirtschaftlich zu betreiben - wie momentan etwa in Oberösterreich. Unweit davon aber werden in Bayern Windkraftanlagen errichtet, die funktionieren. Also gibt es auch in Oberösterreich genug Wind. Außerdem wird immer wieder argumentiert, dass man Schattenkraftwerke benötigt, um den Ausfall von alternativen Energiequellen abzufangen. Dabei ist die Prognostizierbarkeit von Windkraft sehr gut. Daher ist es für das System nicht schwierig, darauf zu reagieren.

derStandard.at: Wie genau kann man Windkraft prognostizieren?

Moidl: Innerhalb des Tages kann man sehr exakt vorhersagen, ob die Windverhältnisse stärker oder schwächer werden. Auch für den nächsten Tag ist das noch möglich. Erst Prognosen ab drei Tagen sind schwieriger. Aber wir haben in Österreich besonders gute Verhältnisse für den Ausgleich, weil wir viele Speicherkraftwerke haben. Österreich hat gleich viel Speichermöglichkeit wie ganz Deutschland.

derStandard.at: Warum kursieren diese Gerüchte, wenn sie offensichtlich nicht zutreffen?

Moidl: Es gibt viel Unwissen und natürlich auch Ablehnung gegenüber Windenergie. Manchen Menschen gefallen Windränder einfach auch nicht. Und es stimmt, man kann sie nur schwer verstecken. Darüber gibt es auch heiße Diskussionen bei neuen Projekten. Die Auseinandersetzungen sind vor allem dort sehr intensiv, wo es noch keine Windenergie gibt. Dabei entstehen Ängste, ob ein Windrad zu laut ist oder gesundheitsschädliche Emissionen ausstößt. Diese Befürchtungen können aber zumeist ausgeräumt werden. Ohne Zustimmung der Bevölkerung können in Österreich Windräder nicht errichtet werden, und das ist gut so.

derStandard.at: Eine Möglichkeit, Windräder zu "verstecken", sind Offshore-Windparks im Meer. Deutschland wird auch in Zukunft auf deren Ausbau setzen. Dafür werden sogenannte Stromautobahnen forciert, die die Energie aus dem Norden in den Süden des Landes transportieren. Wie sinnvoll ist das?

Moidl: Weniger als ein Prozent der Leistung der deutschen Windenergie sind Offshore-Anlagen, und es wird sich zeigen, wie stark sich diese Windparks entwickeln. Ich bin überzeugt, dass der Windkraftaufbau in den nächsten 20 Jahren vorwiegend an Land passieren wird. Der Ausbau von Offshore-Windparks hat sich immer wieder verzögert, weil die Aufbaukosten mitten im Meer hoch sind und auch der Netzanschluss schwieriger ist. Wie sinnvoll diese Stromautobahnen sind, weiß ich nicht, denn auch der Süden Deutschlands kann mit eigener Windkraft versorgt werden.

derStandard.at: Der europäische Emissionshandel gilt als gescheitert: Am Markt existieren mehr CO2-Zertifikate als benötigt, und die Kohlekraftwerke in Osteuropa laufen in Hochbetrieb. Was bringen die Windräder und andere alternative Energiequellen Westeuropas überhaupt für das Klima?

Moidl: Hätten wir die alternativen Erzeugungsmethoden nicht, würde noch mehr CO2 ausgestoßen. Aber es stimmt, dass die europäischen CO2-Emissionen im Stromsektor derzeit steigen. Unter anderem liegt das daran, dass der Emissionshandel komplett versagt hat. Eine Tonne CO2 kostet mittlerweile zwischen drei und fünf Euro und nicht mehr 15 bis 20 Euro. Die Emission von Treibhausgasen ist somit fast kostenlos.

derStandard.at: Welche Auswirkungen hat der Preisverfall?

Moidl: Leider wurde der Vorschlag der EU-Kommission, 900 Millionen Zertifikate aus dem Markt zu nehmen, damit der Preis angehoben wird, vom EU-Parlament abgelehnt. Außerdem ist im Moment auch der Kohlepreis niedrig, was den Kohlestrom sogar billiger als Gasstrom macht, obwohl er schmutziger ist. Über die Leitungen aus Tschechien und Polen fließt kein importierter Windstrom aus Norddeutschland, sondern Kohlestrom. Und es widerspricht jedem Nachhaltigkeitsgedanken, dass die fossilen Kraftwerke nicht heruntergeregelt werden, wenn wir erneuerbaren Strom haben. Wenn im Norden viel Windstrom erzeugt wird, sollen doch die Kohlekraftwerke nicht auf Vollbetrieb weiterfahren.

derStandard.at: Aber bei der Netzeinspeisung verdrängt alternativer Strom immer mehr die fossilen Brennstoffe.

Moidl: Genau, und das soll noch mehr werden: Windkraft soll Kohle- oder Atomstrom irgendwann komplett aus den Netzen blasen. Der Report zum Thema Klimawandel von Lord Nicholas Stern zeigt, dass eine Umstellung auf erneuerbare Energie im Stromsektor relativ einfach ist. Im Gegensatz dazu ist es viel schwieriger, die Mobilität auf 100 Prozent erneuerbare Energie umzustellen. Würde heute der CO2-Markt funktionieren und die fossilen Kraftwerke keine Förderung mehr erhalten, dann wäre Windkraft eine der günstigsten Erzeugungsformen und würde keine Förderung benötigen.

derStandard.at: Wie hoch sind die Förderungen im Moment?

Moidl: In Österreich bekommt man 9,45 Cent pro Kilowattstunde Unterstützung für die Laufzeit von 13 Jahren. Im Vergleich dazu: Der größte Atomstromproduzent EDF verhandelt zurzeit mit der britischen Regierung um 12,5 Cent pro Kilowatt Förderung auf 40 Jahre, damit sie AKWs bauen. Pervers ist auch, dass man in Österreich für den Abbau der Windkraftanlage vorsorgen muss, während Atomkraft das nicht machen muss. Sollte die Firma in Konkurs gehen, muss genügend Geld da sein, damit die Windkraftanlage rückstandsfrei abgebaut werden kann. Die Atomkraft ist europaweit sogar von der Umwelthaftungsrichtlinie ausgenommen und Betreiber müssen keine Versicherungen abschließen.

derStandard.at: Eine Untersuchung am Max-Planck-Institut geht davon aus, dass Windenergie im großen Stil auch Folgen für die Atmosphäre hätte, da sie Energie aus der Luft nimmt. Hat also Windkraft doch Auswirkungen auf das Klima?

Moidl: Es stimmt, dass Energie aus der Luft genommen wird, denn es wird daraus Strom erzeugt. Lokal kommt es sicher zu einer Abbremsung der Luft, das kann man nicht bestreiten. Die Grundfrage ist aber, ob es eine relevante Auswirkung auf großräumige Luftströmungen oder die Temperatur hat. Die Annahmen sind mir bis jetzt aber nicht solide vorgekommen. Ich glaube nicht daran.

derStandard.at: Strittig ist auch das Thema Ausgleichsenergie: Das betrifft die Energie, die ins Netz eingespeist wird, wenn es zu Frequenzänderungen kommt, weil sich entweder der Verbrauch oder die Bereitstellung ändert. Im Vergleich zu 2011 sind die Kosten im Jahr 2012 von 40 Millionen auf 120 Millionen Euro gestiegen. Wie kann man sich diese Verdreifachung erklären?

Moidl: Es wird oft argumentiert, dass man mehr Regel- und Ausgleichsenergie benötigt, weil die alternativen Energiequellen zu unsicher sind. Das stimmt aber nicht. Die Menge des gelieferten Stroms hat sich innerhalb des vergangenen Jahres nicht großartig verändert. Im Jahr 2010 beschloss die Regierung aber, aus dieser Dienstleistung, die der Verbund zur Verfügung gestellt hatte, ein Geschäft zu machen. 2012 war das erste Jahr, in dem sich Kraftwerksbetreiber aufgrund einer Ausschreibung für die Einspeisung bewerben mussten.

Wenn ein Betreiber den Zuschlag erhält, bekommt er schon alleine dafür Geld, dass er einsatzbereit ist. Für jede gelieferte Kilowattstunde wird extra bezahlt. Diese Umstellung ist aber schiefgegangen, weil es nur vier Anbieter gibt. Das hat zum Marktversagen geführt, und die Preise sind enorm gestiegen. Bei uns ist die Problematik, dass wir mitzahlen müssen, aber nur den Einspeisetarif bekommen. Wir können die Erhöhung an niemanden weitergeben, denn diese Erhöhung zahlt schlussendlich auch der Konsument über die Stromrechnung. (Bianca Blei, derStandard.at, 14.5.2013)