"Als ich auf der Europa 2 ein Bett mit Überlänge entdeckte, wurde mir zum ersten Mal klar: Da hat jemand an mich gedacht - ich werde wohl bald den Arbeitsplatz wechseln", erinnert sich der genau einen Meter und neunundneunzig Zentimeter große Kapitän Jan Akkermann. Es war ein routinemäßiger Rundgang noch im Rohbau des Kreuzfahrtschiffs, und doch verriet ihm dieser Blick auf die Sonderanfertigung bereits alles: Bald wird er seinen angestammten Arbeitsplatz auf der MS Europa eintauschen: gegen den neuen auf der MS Europa 2.

Im September 2009 haben die Bauarbeiten für das edle Schiff in der Werft STX Europa im französischen Saint-Nazaire begonnen. Am 10. Mai 2013 werden die rund zehntausend Tonnen Stahl, bei denen die feine Möblierung eine größere Rolle spielt als gewöhnlich, bereits feierlich im Hamburger Hafen getauft.

Der Zweier im Taufnamen steht dabei aber nicht für eine schiffsbauliche Doublette, sondern eher für eine zweite Chance: Mit diesem Schiff soll es der traditionsreichen Reederei Hapag-Lloyd künftig gelingen, den Altersdurchschnitt auf ihren exklusiven Kreuzfahrten künftig ein wenig zu senken. Wie man so etwas macht? In diesem Fall wurde unter anderem probiert, ein Kreuzfahrtschiff weder altbacken noch so ausschauen zu lassen, als wäre Las Vegas ins Schwimmen gekommen beim Versuch gleichzeitig Disneyland sein zu müssen.

Das Maximum an Purismus

Dafür holte man sich unter anderem einen Möbelbauer wie Cor-Interlübke ins Boot, um Kabinen, die auf diesem Schiff niemals kleiner sind als 35 Quadratmeter, einmal besonders frisch und cool aussehen zu lassen. Aber wie weit - oder auch nicht weit - Innenarchitekten dabei wirklich gehen können, zeitgenössischeres Interieur auf einem Schiff zu verbreiten, zeigte sich schon vor der Taufe bei einer kurzen Probefahrt von Antwerpen nach Southampton. Dabei passierte Folgendes: Den einen in diesem Testsample von nur rund 200 Passagieren war das helle Eichenholz, das sich fast überall im Innenbereich wiederfindet, fast schon zu klinisch; andere wiederum meinten, das sei ihnen eigentlich noch nicht "designig" und reduziert genug - die helle Holzfarbe sehe irgendwie zu "öko" aus. Was soll aus diesem Richtungsstreit unter so vielen Interieurbewertern also werden, wenn sich ihre Anzahl erst einmal mehr als verdoppelt hat? Bald schon wird die MS Europa 2 maximal 516 Passagiere befördern, von denen jeder rein rechnerisch über ein Haushaltseinkommen von 5000 Euro verfügen sollte, um auf diesem Schiff entspannt über Möbel diskutieren zu können. Mehrheitsfähigkeiten auf dem Meer sind eine schwierige Sache!

Julian Pfitzner, der Leiter des Produktmanagements auf der Europa 2, meint dazu jedenfalls: "Was Sie hier sehen, ist meiner Einschätzung nach das Maximum an puristischem Design, das sich auf einem Kreuzfahrtschiff mit so vielen unterschiedlichen Menschen derzeit realisieren lässt." Und Henning Brauer, der Bauleiter der Europa 2, ergänzt: "Nicht einmal die Farbe eines einzelnen Raumes darf hier dem Zufall überlassen bleiben. Es kann nämlich nicht sein, dass ein Einrichter gerade zufällig seine grüne Phase hat, und einer Mehrheit der Gäste wird dann immer wieder schlecht wegen seiner Farbwahl. Solche Entscheidungen müssen immer im Gremium diskutiert und getroffen werden."

Keine fliegende Fische

Exakt 29.910 Pläne und Architekturzeichnungen wurden für die Europa 2 - die de facto Europa 7 heißen müsste, weil auch die ursprüngliche MS Europa längst nicht mehr die originale ist - angefertigt und immer wieder geändert. Der einzige Raum, der fast so ausschaut wie in den ersten Plänen vorgesehen, ist das sogenannte Herrenzimmer, also der Raucherraum. Klassisch-konservative Lederpolstermöbel mit den obligatorischen Zigarrenschränken sind aber auch nicht der wichtigste Ort für Experimente.

Wie schwierig der Spagat zwischen Gediegenheit und modernem Design tatsächlich ist, sieht man aber am besten in den Speiseräumen. So war bestimmt eine Frage für die Architekten: Darf etwa ein schwimmendes französisches Spitzenrestaurant hier wie ein lockeres Bistro ausschauen, um dann von den Gästen trotzdem noch als Ort des Luxus wahrgenommen zu werden? Wohl auch deshalb sicherte man sich mit zahlreichen Murano-Glas-Lustern und Silberbesteck ab, um auch keine Zweifel an der edlen Herkunft der Restaurants zu lassen.

Noch aussagekräftiger in diesem Zusammenhang: Es ist eine besondere Auszeichnung für ein Traditionsunternehmen, wenn es bei Meissen-Porzellan ein eigenes Dekor besitzt. Hapag-Lloyd hat auch eines: in Form eines fliegenden Fisches. Als umso lässiger muss es dann aber gelten, wenn der Gast unter insgesamt 25.053 Geschirrteilen auf der Europa 2 kein einziges mit dem traditionellen Dekor und kein Stück von Meissen findet - weil's hierher einfach nicht passen würde. Das, was zu viel ist, wegzulassen, ist häufig das Beste - und sei es nur die Krawatte beim Dinner, was hier nun ausdrücklich erwünscht ist. (Sascha Aumüller, DER STANDARD, Rondo, 9.5.2013)

Info: www.hlkf.at

MS Europa 2

Im Wesentlichen ist die MS Europa 2 auch auf hoher See nicht allzu weit davon entfernt, wie fesche Designhotels heutzutage an Land ausschauen. Der Rest - ob etwa das dominante helle Holz gefällt oder ein dunkelbraunes Raucherzimmer - bleibt wie immer Geschmackssache. Wir zeigen ein paar Impression vom neuen Schiff in dieser Ansichtssache.

Foto: Hapag-Lloyd

Die Rezeption ist Teil des Atriums.

Foto: Hapag-Lloyd

Die Spa Suite mit 42 Quadratmeter und Veranda.

Foto: Hapag-Lloyd

Die Grand Penthouse Suite  mit 78 Quadratmetern und Veranda.

Foto: Hapag-Lloyd

Das Belvedere auf Deck 9.

 

Foto: Hapag-Lloyd

Im Hauptrestaurant Weltmeere erwarten die Gäste internationale und vegetarische Menüs.

Foto: Hapag-Lloyd

Im Herrenzimmer können Tabakwaren sowie eine Auswahl an Whiskey und Gin genossen werden.

Foto: Hapag-Lloyd

Das Pooldeck mit Swimmingpool und Glasdach.

Foto: Hapag-Lloyd

Die MS Europa 2 verfügt über ein Personal Spa, das zur individuellen Nutzung gebucht werden kann.

Foto: Hapag-Lloyd

Es waren erste schüchterne Blicke, die man von Antwerpen bis Southampton auf die MS Europa 2 werfen konnte.

Foto: Sascha Aumüller

Anhand vieler kleiner Details war zu erkennen, dass sich Luxus und Lockerheit auch auf hoher See verheiraten lassen.

Foto: Sascha Aumüller

Auf dem Schiff haben 516 Passagiere auf Decks Platz. Insgesamt stehen 251 Suiten zur Verfügung.

 

Foto: Hapag-Lloyd