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Ein Bild vom Hubble-Teleskop zeigt einen geisterhaften Ring von dunkler Materie in einem Galaxien-Cluster.

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Jochen Schieck, neuer Direktor am Hephy.

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Der 77-jährige US-amerikanische Physiker Samuel Ting ist kein Mann von großen Worten. Umso überraschender war es, als der Leiter des Weltraumexperiments Alpha Magnetic Spectrometer (AMS-02) im vergangenen April von "neuen physikalischen Phänomenen" sprach: Mit dem 2011 an der Außenseite der Internationalen Raumstation ISS installierten AMS-02-Detektor hatte man einen Überschuss sogenannter Positronen im Weltall gemessen, erzählte er.

Diese positiv geladenen Antiteilchen der Elektronen, die aus allen Richtungen auf die Erde fallen, könnten entstehen, wenn zwei Teilchen der dunklen Materie aufeinandertreffen. Damit wäre ein indirekter Nachweis für jene nicht lichtreflektierende, also nicht sichtbare Materie erbracht, die 24 Prozent des Universums ausmachen soll, aber bis zum heutigen Tag unbekannt ist. Zum Vergleich: Nur fünf Prozent sind bekannte Materie.

Tings Präsentation am europäschen Kernforschungszentrum Cern bei Genf spaltete die Community. Viele Physiker reagierten enthusiastisch und sahen schon das Ende der langen Suche nach dunkler Materie herannahen, Skeptiker freilich sagten, Ting, Physiknobelpreisträger von 1976, habe keine Neuigkeiten präsentiert. Der Positronenüberschuss wurde ja vom Satellitendetektor Pamela - weniger detailreich - schon vor Jahren festgestellt. Die New York Times zitierte etwa Neal Weiner von der New York University: "Wir können nicht sagen, dass es die dunkle Materie ist, wir können es aber genauso wenig ausschließen." Ein Cern-Wissenschafter ätzte: "Wir wissen genauso viel wie vorher."

Schwerpunkt am Hephy

Es gibt jede Menge Hypothesen, die seit der ersten Annahme der dunklen Materie durch den Schweizer Astronomen Fritz Zwicky im Jahr 1933 entwickelt wurden. Die derzeit gebräuchlichste besagt, dass die Teilchen schwach wechselwirken, aber immerhin massereich sind, weshalb sie "Wimps" (Weakly Interacting Massive Particles) genannt werden. "Wenn es so einfach wäre, die dunkle Materie nachzuweisen, dann wäre das wohl in den vergangenen 80 Jahren gelungen", sagt der Teilchenphysiker Jochen Schieck von der Ludwig-Maximilian-Universität München. Er ist ab 1. Oktober Direktor des Instituts für Hochenergiephysik (Hephy) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. In Kooperation mit der TU Wien wird er einen Schwerpunkt zur Erforschung der dunklen Materie aufbauen. Die finanziellen Mittel in der Höhe von 1,2 Millionen Euro kommen über die Uni-Leistungsvereinbarung vom Wissenschaftsministerium.

Schieck will dabei auf eine Analysemethode setzen, die die Wimps direkt nachweisen kann. Das Hochenergiephysik-Institut geht dafür voraussichtlich eine Kooperation mit einem jener schon bestehenden Physik-Großprojekte ein, die einen Untergrunddetektor in den Bergen betreiben. In Montana in den USA, im italienischen Gran Sasso, aber auch im französisch-italienischen Fréjus-Tunnel wurde bereits ein solches Experiment aufgebaut. Unter riesigen Gesteinsschichten kann man hier, abgeschirmt von kosmischer Hintergrundstrahlung, Daten sammeln und vor allem auf ein Ereignis warten: Wenn die stark abgekühlten Detektoren mit einem der Wimps interagieren, senden sie schwache Wärmeimpulse aus. Das passiert laut Schieck freilich nur äußerst selten.

Es scheint also wichtig, dabei Geduld zu haben, zumal weder das Weltraum- noch eines der Untergrundexperimente alleine das Rätsel der dunklen Materie eindeutig lösen werden. Schieck meint: "Ein konsistentes Bild davon werden wir garantiert nur dann erhalten, wenn wir in mehreren Richtungen gleichzeitig suchen." Weshalb er auch auf entsprechende Dunkle-Materie-Daten des Satellitendetektors Pamela, des Weltraumteleskops Fermi oder des großen Teleskopsystems H.E.S.S. (High Energy Stereoscopic System) in Namibia verweist, die ebenfalls zur Lösung des Rätsels beitragen könnten.

Schließlich wollen sich Physiker auch nicht mit der passiven Rolle des Beobachters begnügen und die Wimps selbst herstellen. Die geeignete Maschine für diese Pläne soll natürlich der LHC (Large Hadron Collider) am Cern sein. Der mit fast 27 Kilometern Umfang weltgrößte Teilchenbeschleuniger wird derzeit hochgerüstet, um die ab 2015 geplante volle Beschleunigerenergie von 14 Teraelektronenvolt (TeV) leisten zu können. Diese Energie hat nichts Magisches an sich. Sie gilt nur als realistisch erreichbar. Auf diesem Level sollte es aber möglich sein, grundsätzliche Fragen der Physik zu beantworten.

Das einzig wahre Modell

In erster Linie wird es dabei um die Diskussion gehen, welches physikalische Modell das einzig wahre und echte ist. Am Standardmodell zweifeln viele Physiker vor allem deshalb, weil es keine Erklärung für die Gravitation enthält. Die Erweiterung, Supersymmetrie (Susy) genannt, würde bedeuten, dass jedes Teilchen eine Art Superpartner im Teilchenzoo hat. Es ist natürlich möglich, dass die leichtesten supersymmetrischen Teilchen gerade die Wimps sein könnten. Dann hätte man nach dem Prinzip der Denkökonomie, das man auch als "Ockhams Rasiermesser" bezeichnet, gleich zwei Probleme auf einmal gelöst, sagt der am LHC beschäftigte Physiker Manfred Jeitler. Künftige Physikstudenten hätten es dann einfacher und müssten nur eine anstatt zweier verschiedener Theorien erlernen.

Erkaltete Sterne

Wo die Wahrheit in der Natur liegt, wird sich aber erst zeigen. Die schwach interagierenden Teilchen, deren Akronym Wimps im Englischen "Schwächlinge" oder "Waschlappen" bedeutet, haben nämlich einen ernstzunehmenden Theorie-Gegenspieler: Es könnten auch Überreste von sichtbarer Materie, zum Beispiel von erkalteten Sternen, sein: Sie bewegen sich im Raum, der die Galaxie umgibt, sind aber nicht an sie gebunden. Ihr Name: "Massive Astrophysical Compact Halo Objects". Ihr bezeichnendes Akronym: "Macho".

Mitte der 1980er-Jahre hieß es, dass man sie beobachten könne, wenn sie sich vor Lichtquellen bewegen. Eine Gruppe von Wissenschaftern beansprucht auch, einen Teil der Machos nachgewiesen zu haben. Als alleinige Quelle der dunklen Materie können sie mittlerweile ausgeschlossen werden. Man nimmt nun an, dass sie bei der Zusammensetzung eine kleine Rolle spielen. Solange der experimentelle Nachweis nicht gelungen ist, wird das Rätselraten aber weitergehen - auf Basis vieler Hypothesen, die einige großgeschriebene "Aber" enthalten. (Peter Illetschko aus Genf, DER STANDARD, 08.05.2013)