Warten auf die Königsidee zum Sturz der Diktatur: Jungwerber René Saavedra (gespielt vom Latino-Star Gael García Bernal) im chilenischen Film "No", der für den Auslandsoscar nominiert war.

Foto: Filmladen

Wien - Bei einem Geheimtreffen in Santiago erlebten die Chefs der gerade noch verbotenen politischen Parteien Chiles einen Schock. Wenige Wochen vor der historischen Abstimmung über den Verbleib des Diktators Augusto Pinochet am 5. Oktober 1988 wurde den Politikern, von denen viele das Exil, manche auch Gefängnis und Folter erlitten hatten, von jungen Filmemachern ein Werbespot für das "Nein" im Referendum präsentiert. Bunt gekleidete junge Leute hüpften da lachend herum und sangen, wie in einer Cola-Werbung, von der "Freude, die bald kommt". Einige der Polit-Veteranen empörten sich lautstark und sahen das Andenken der Diktatur-Opfer beschmutzt, andere stimmten, vor allem weil wenig Zeit war, dem Spot zu.

Diese historisch verbürgte Episode ist eine der Schlüsselszenen im nun in Österreich anlaufenden chilenischen Film No. Angelehnt an die Realität, erzählt Regisseur Pablo Larraín die fiktive Story des die Diktatur quasi im Alleingang besiegenden chilenischen Werbemanns René Saavedra (gespielt vom mexikanischen Filmstar Gael García Bernal).

In Wirklichkeit setzten die Oppositionsparteien Chiles auf US-Hilfe. Juan Gabriel Valdés, Spross einer christdemokratischen Familie, erbat in New York vom Großspekulanten und Mäzen George Soros Hilfe, um in Tiefeninterviews mit "Focus-Groups" die Motive der Wähler zu erkunden.

Ein Jahr davor hatte in Chile noch niemand geglaubt, dass der 1973 mit einem blutigen Putsch an die Macht gekommene Diktator Pinochet diese in einem selbstausgerufenen "Plebiszit" aufs Spiel setzen werde. Doch als der Abstimmungstermin näher rückte, ließen sich 7,5 Millionen Bürger, auch die Bewohner der Armenviertel (die im Film nicht vorkommen), in die Wählerlisten eintragen. Die Bevölkerung wollte offenbar abstimmen.

Die Motivforscher fanden aber heraus, dass das vorherrschende Gefühl die Angst war: Angst vor neuer Unterdrückung, aber auch vor einem Chaos nach dem Sieg der Opposition. Um den Menschen die Furcht zu nehmen, kam es zur scheinbar "seichten" Kampagne, bei der große US-Werber wie die Sawyer Miller Group und Frank Greer von GMMB den echten chilenischen Mastermind Genaro Arriagada unterstützten.

Die Kampagne, bei der auch zum Donauwalzer dem Diktator ein "No-no, no-no" entgegengerufen wurde, begeisterte die Massen. Am Abend der Abstimmung wurde im Pressezentrum des Regimes zuerst ein Vorsprung des "Ja" vermeldet. Doch dann gingen plötzlich die Lichter aus, die internationalen Berichterstatter, darunter der Autor dieses Beitrags, wurden hinauskomplimentiert.

Neue US-Geheimdokumente

Während die Opposition von einem offenbaren Sieg des "Nein" flüsterte, rief Pinochet die Chefs aller Waffengattungen in den Regierungspalast. Dorthin unterwegs, sagte, wie im Film zu sehen, Luftwaffenchef Fernando Matthei in die TV-Kameras den historischen Satz: "Es ist ziemlich klar, dass das Nein gewonnen hat."

Heuer freigegebene Geheimdokumente der USA (die 1973 für den Putsch gewesen waren) sollen beweisen, dass Washington Pinochet 1988 unter Druck setzte, das "Nein" zu akzeptieren. Zu der vom Sowjet-Chef Michail Gorbatschow mit dem Westen begonnenen Annäherung hätte die US-Unterstützung des Diktators wohl nicht mehr gepasst.

In Chile wurde der Film Larraíns, der aus einer rechten Familie stammt, gemischt aufgenommen, auch weil die 1988 bejubelte "Zeit der Freude" ausgeblieben ist. Es gibt zwar weniger Arme, aber viele sind weiterhin armutsgefährdet. Seit 2011 fordern Studenten in Massendemos deshalb das Ende des unter Pinochet eingeführten neoliberalen Systems.    (Erhard Stackl, DER STANDARD, 8.5.2013)