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Am 3. Mai feierten diese ultanationalistischen Demonstranten den "Tag des Türkentums" auf ihre Weise - die Istanbuler Polizei setzte Tränengas ein.

Foto: EPA/KERIM OKTEN

Der Nebel kam gegen Mittag, weiß und kalt, zog um die Häuser und legte sich über das Wasser, während der Himmel makellos blau blieb. Den Schiffsverkehr über den Bosporus haben die Behörden gleich eingestellt, aber da war die erste Havarie schon passiert. Bis zum Abend saß der Nebel am vergangenen Samstag in Istanbul, ein ungewöhnliches Spektakel für diese Jahreszeit. Andererseits war es das zweite Mal in jener Woche, dass die Millionenstadt blockiert war, gewissermaßen naturgegeben.

Zum 1. Mai verhängte die Regierung von Tayyip Erdogan durch ihren Gouverneur faktisch eine Ausgangssperre über Istanbul, schloss den Fährverkehr zwischen dem europäischen und dem asiatischen Teil der Stadt, sperrte Metrobüs-, U-Bahn- und Straßenbahnlinie und zog die Galatabrücke hoch. Niemand sollte zum Taksim-Platz gehen und bei einer Mai-Demonstration mitmachen. 15 Millionen hatten Ausgehverbot. Die stundenlangen Krawalle in anderen Stadtteilen zwischen dem Heer an Polizisten und gewalttätigen Demonstranten waren daran gemessen Nebensache (ein Polizist und mehrere Demonstranten wurden gleichwohl schwer verletzt, darunter eine 18-Jährige, die der Gouverneur gleich zur Terroristin erklärte). Der 1. Mai 2013 wird als der autoritäre Moment der Ära Erdogan in die Geschichte der türkischen Republik eingehen.

Der Massenbann über Istanbul war natürlich das Thema bei den wöchentlichen Reden der Parteiführer vor ihren Parlamentsfraktionen in Ankara an diesem Dienstag. Die CHP wird eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einreichen und auf einen neuerlichen symbolischen Sieg hoffen: 2009 bekamen die zwei führenden türkischen Gewerkschaften DISK und KESK schon einmal in Straßburg Recht, als sie den türkischen Staat wegen des Verbots einer Mai-Kundgebung auf dem Taksim-Platz verklagten (die Kemalisten-Partei CHP hatte 1978 selbst mit dem Taksim-Verbot begonnen). Die Richter erkannten einen Verstoß gegen Artikel 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention an (Versammlungsfreiheit) und verurteilten die Türkei zur Zahlung von 1.000 Euro.

Dieses Mal wird es nicht so leicht werden. Istanbuls Gouverneur Hüseyin Avni Mutlu - wie alle 81 Gouverneure im Land ausgesucht von Regierungschef Erdogan - verbat die Demonstrationen, weil die Hälfte des Taksim-Platzes Baustelle ist. Die tiefe Baugrube so abzusichern, dass eine mehre zehntausend Menschen große Menge nicht gegen die Holzwände am Rand der Grube drängt, wäre wohl ein Problem gewesen. Dann wiederum aber auch, so haben viele Kommentatoren in den vergangenen Tagen festgestellt, hätte die Regierung schon irgendeine Abmachung mit Gewerkschaften und Oppositionsparteien treffen können, wenn sie nur nicht so starrköpfig gewesen wäre.

Und schließlich ist da das Bauvorhaben selbst: von Erdogan gewünscht, von der Bevölkerung hingenommen und von einem kleinen Teil der Gesellschaft wegen seiner stadtplanerischen Fragwürdigkeit bekämpft - Taksim wird eine Betonplatte, der einzige Park im Einkaufs- und Restaurantviertel wird abgeholzt für den Kitsch-Wiederaufbau eines Garnisonsgebäudes aus osmanischer Zeit, für noch eine Shopping Mall, Luxusapartments und natürlich eine Moschee. Yetvart Danzikyan brachte es in einem Leitartikel in der linksliberalen Zeitung "Radikal" auf die Formel "autoritärer Kapitalismus". (Markus Bernath, derStandard.at, 7.5.2013)