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Proteste gegen die Kürzung der Wohnbeihilfe in London.

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Iain Duncan Smith ist Minister für Arbeit und Pensionen und glaubt er könne von 53 Pfund in der Woche auskommen.

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Labour Parteichef Ed Miliband tut sich schwer mit Angriffen gegen die Reformen. In der Bevölkerung sind einige Maßnahmen durchaus beliebt.

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53 Pfund. Diese Summe ließ die Debatte um die aktuelle Reform des britischen Sozialsystems emotional werden. Anfang April behauptete Iain Duncan Smith, Minister für Arbeit und Pensionen, in einer Radiosendung der BBC, es sei für ihn kein Problem, mit umgerechnet 63 Euro pro Woche sein Auslangen zu finden. Bewiesen hat er das allerdings nicht. Eine Petition mit derzeit rund 476.000 Unterzeichnern fordert genau das. Bisher hat der Minister keine Anstalten gemacht, auf die Forderung einzugehen.

Regierung: Arbeit statt Sozialhife

Die Reform der Sozialleistungen ist keine neue Idee in Großbritannien. Schon 2010 kündigte die konservative Regierung unter Premier David Cameron massive Veränderungen im Sozialsystem an. Der Grundtenor: Arbeit müsse sich wieder auszahlen - vor allem finanziell. Bisher sei der Unterschied zwischen Einkommen aus Arbeit und der Höhe der Sozialleistungen zu gering, lautet die Argumentation der Regierung. Die britische Arbeitslosenrate stieg im Februar leicht auf 7,9 Prozent, die Beschäftigungsrate lag bei 71,4 Prozent. Ziel der Reform ist es auch, die Arbeitslosigkeit zu senken und damit die Zahl der Beschäftigten zu erhöhen. Insgesamt sind es 42 Änderungen, die dem britischen Sozialbudget ab 2015 bis zu 21 Milliarden Euro Ersparnis bringen sollen. Die ersten Reformschritte sind im April in Kraft getreten. 

Kürzung der Wohnbeihilfe

Dazu zählt die Reform der Wohnbeihilfe, die als "Bedroom Tax" Eingang in die Debatte gefunden hat. Die Höhe der Wohnbeihilfe ist seit 1. April stärker von der Größe der Wohnung abhängig. Sollte ein Raum in der Wohnung nicht mehr genutzt werden, verlieren die Bewohner zwischen 15 und 24 Prozent ihrer Unterstützung. Die Regierung will damit einen finanziellen Anreiz für Familien setzen, in kleinere Wohnungen umzuziehen, wenn die größere Wohnung nicht mehr gebraucht wird. Damit könnten diese Wohnungen wiederum an größere Familien vergeben werden. Kritiker bemängeln, dass das Problem mit dieser Maßnahme nicht gelöst werden könne: Vor allem im Norden Englands sei der Bedarf an Wohnraum nicht so groß, dass Familien, die ein Zimmer ihrer Wohnung nicht mehr nutzen, zum Umzug bewegt werden müssten.

Eine Zahlung statt vielen

Eine weitere gravierende Änderung ist die Einführung einer Unterstützungszahlung namens Universal Credit, die sechs bisherige Einzelleistungen ersetzen soll. Darunter zum Beispiel auch die Arbeitslosenversicherung. Außerdem wird es eine Deckelung der Sozialleistungen für einen Haushalt mit insgesamt 26.000 Pfund (rund 30.000 Euro) pro Jahr geben. Des Weiteren wird die Mehrzahl der Sozialleistungen ab 2014 jährlich nur mehr um ein Prozent steigen - also um lediglich ein Drittel der aktuellen Inflationsrate.

Universal Credit wurde am 29. April als Pilotprojekt in dem nordwestlichen Verwaltungsbezirk Tameside eingeführt. Die landesweite Umsetzung erfolgt erst Ende 2013. Weil die neuen Sozialleistungen so weit wie möglich online verwaltet werden sollen, gibt es Kritik an dem unausgereiften IT-System. Die Labour Party bemängelte immer wieder, dass die zur Verwaltung notwendigen Systeme noch nicht einsatzfähig seien. Aber das ist nicht die einzige Kritik der Sozialdemokraten.

Sozialdemokraten tun sich schwer mit Kritik

Labour-Chef Ed Miliband hat wiederholt die meisten Maßnahmen der Reform verbal unter Beschuss genommen. Dabei geben ihm aber nicht alle Parteikollegen Rückendeckung. Die öffentliche Meinung steht einigen Reformschritten der Konservativen nämlich überwiegend positiv gegenüber. So wird die Deckelung der Sozialleistungen mehrheitlich befürwortet. Während 1993 lediglich ein Fünftel der Briten glaubte, geringere Sozialleistungen würden zu erhöhter Arbeitswilligkeit führen, sind es im Jahr 2012 schon mehr als die Hälfte, schreibt der "Economist". Laut einer von der Tageszeitung "The Sun" in Auftrag gegebebenen Umfrage unterstützen mehr als zwei Drittel der Befragten die Reformvorhaben der Konservativen. Die Labour Party steht nun also vor der schwierigen Aufgabe, Kritik zu üben und gleichzeitigen auch auf die Meinung der Öffentlichkeit Rücksicht zu nehmen.

Revolution oder Änderungen

Auch die mediale Einschätzung der Reformen ist äußerst unterschiedlich. Während die liberale Tageszeitung Guardian die Vorhaben in einem Leitartikel davon spricht, dass die Reform Kinder aus ärmeren Bevölkerungsschichten noch zusätzlich benachteiligen würde, beschwichtigt der konservative Economist. Die Regierung versuche zu Recht die Sozialleistungen zu reformieren und die Zahlungen so zu gestalten, dass sich Arbeit wieder auszahlt. Die Reformschritte sind weniger revolutionär, als die Gegner behaupten, schreibt die Wochenzeitung. Die Begründung für diese Einschätzung: Die Funktionsprinzipien und Finanzierung des Wohlfahrtsstaates bleiben aufrecht. Andere Sozialsysteme, wie zum Beispiel das Pensionssystem werden nicht angetastet. (Michaela Kampl, derStandard.at, 6.5.2013)