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479 Lebensmittelvergiftungen an der Al-Azhar-Uni in Kairo - Anfang April löste dies Proteste aus und führte zum Rücktritt des Rektors.

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Wien/Kairo - Der Anruf des Rektors hinterließ die ägyptische Professorin Mona Prince perplex. Sie solle sich vorerst von der Suez-Universität fernhalten, denn es sei eine Beschwerde gegen sie eingelegt worden. Der Vorwurf: Diffamierung der Religionen.

Der Hintergrund: In ihrer Vorlesung hatte die Professorin für Englisch die Geschichte des Konflikts zwischen Christentum und Islam in Ägypten erwähnt.

"Dieser Vorfall kommt für uns überraschend", sagt Weaam Mokhtar, Koordinatorin der ägyptischen Organisation "Academic Freedom". "Diesmal ist es nicht die Uniadministration, es ist nicht das Innenministerium, es sind die Studenten. Sie sind es, die gegen die freie Lehre einstehen."

Empört über den Vorwurf und die Reaktion des Rektors, trat Prince in einer Fernsehshow auf. Daraufhin wurde sie suspendiert. Seitdem sind zwei Wochen vergangen: In einigen Tagen beginnt nun die universitätsinterne Untersuchung, in der sie sich rechtfertigen wird müssen.

"Paradox" nennt Mokhtar diesen Vorfall. Islamische Kleingruppen versuchten nun, eine Errungenschaft der Revolution - gestärkte Studierendenrechte - zu missbrauchen, um die Freiheit an der Uni einzuschränken.

Spiegelbild der Gesellschaft

Die Situation an Ägyptens Hochschulen ist ein Spiegelbild des aktuellen politischen Konflikts zwischen Islamisten und säkularen Gruppen. Die Umsetzung der politischen Errungenschaften geht nur zäh voran. Seit dem Sturz Mubaraks war mehrfach versucht worden, ein Studentenparlament zu wählen. Seit einer Woche steht fest, wer an der Spitze der Studierenden für das Unijahr 2012/2013 steht: eine unabhängige Liste, gefolgt von der Muslimbrüderschaft.

Das Konfliktpotenzial an Ägyptens Unis bleibt hoch. Erst kürzlich entbrannte ein Protest an der Al-Azhar-Universität in Kairo.

Auslöser war, dass 479 Studierende mit einer Lebensmittelvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten. Dass dies just am Campus passierte, bezeichneten die Studierenden als Symptom für Korruption und schlechtes Management der Unis. Der Rektor sah sich zum Rücktritt gezwungen.

Die Entwicklungen in Ägypten zeigen, dass Hochschulen "Motoren des Umschwungs" sein können, ist Robert Quinn überzeugt. Der Leiter von " Scholars at Risk", einem US-Netzwerk, das sich für Freiheit in der Lehre einsetzt, spricht von einer Katerstimmung in der akademischen Welt des Arabischen Frühlings. "Die Menschen müssen sich zunächst an die neue Situation und ihre neuen Möglichkeiten gewöhnen." Für ihn zählt zur wichtigsten Herausforderung der Zukunft, ob die neuen Regierungen es schaffen werden, Sicherheit an den Universitäten zu garantieren.

Dieses Problem sieht auch Weaam Mokhtar von "Academic Freedom". Bis 2010 waren die Sicherheitskräfte der Hochschule dem Innenministerium unterstellt gewesen, dann wurden die Unis verpflichtet, eigene Sicherheitskräfte anzustellen.

Diese verbannten vor der Revolution 2011 jegliche politische Aktivität aus der Hochschule. Es gab gewaltsame Auseinandersetzungen mit Studierenden, und sie genossen Allmacht und bestimmten zum Beispiel die Kandidaten für die Studierendenwahlen. "Jetzt sind diese Vorfälle selten, aber die Uni-Securitys schaffen es nicht, den Campus zu sichern" , sagt Mokhtar. Sie erzählt von Überfällen und dem Einschmuggeln von Waffen auf den Campus.

Dem Fall Prince sieht sie mit Bangen entgegen. "Ich fürchte, dass der Rektor sich auf Seite der islamistischen Studierenden schlagen wird", erklärt Mokhtar. Ihre Hoffnung? Im Oktober werden die Studentenschaften wieder gewählt. "Das könnte die Freiheit wieder zurückbringen." (Louise Beltzung, DER STANDARD, 3.5.2013)