Fahrradfahren am Gehsteig stört in Zagreb nicht.

Foto: Woelfl

Friedliche Koexistenz.

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Das Zagreber Verkehrskonzept sieht immer mehr Radwege vor.

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Es gibt Fahrradwege in Bukarest, in der rumänischen Hauptstadt kann man sich sogar Räder ausleihen. Und es gibt mutige Biker, die sich in den Belgrader Verkehr stürzen. Es gibt sogar ein paar wenige Außerirdische, die sich zur Fahrrad-Demonstration im Kosovo treffen. In Ljubljana sind die Fahrradwege mittlerweile autobahnähnlich breit, weiter im Süden von Ex-Jugoslawien ist prinzipiell nach wie vor das Auto dominant. Aber wie ist das eigentlich in Kroatien, dem Land zwischen dem Fahrradland Slowenien und dem Noch-Nicht-Fahrrad-Land Bosnien-Herzegowina? Hat der zukünftige 28. EU-Staat ein Herz für die Strampler? Und wie fahrradreif ist Zagreb?

Terrain Gehsteig

Im Zuge der EU-Annäherung ist Kroatien jedenfalls immer mehr von Radfahrern erobert worden. In diesem Sinne kann das Fahrradfahren durchaus als europäischer Integrationsindikator gewertet werden. Nun, kurz vor dem Beitritt importiert man sogar nordwesteuropäische Verkehrskultur. Vergangene Woche mutierten die Zagreber beinahe zu Amsterdamern, zu Anhängern des neuen niederländischen Königs Willem-Alexander, als sie in orangen T-Shirts durch die Hauptstadt radelten. Die niederländische Botschaft hatte zu einer "Cycling Europe"-Konferenz in Zagreb eingeladen. Radfahren in Zagreb ist mittlerweile aber ohnehin etwas Normales geworden. Noch vor einigen Jahren trauten sich nur wenige auf die Straße. Und auch heute noch ist das Terrain, das den Radfahrern überlassen wird, oft der Gehsteig. Auf einer Fahrradweg-Karte für Zagreb sind daher auch nicht nur die Fahrradwege – mittlerweile gibt es viele – eingezeichnet, sondern auch die "hohen Gehsteige", die hier selbstverständlich von Bikern verwendet werden.

Schmale Fahrradwege

Manchmal begegnet man am Gehsteig sogar Mopedfahrern, die sich nicht der Straße aussetzen wollen, was verständlich ist, weil die Zagreber sobald sie sich ins Auto setzen, offensichtlich einen Überholzwang bekommen, alle Autos einholen, die sie erwischen können, um kurz vor der Ampel abzubremsen und dann für eine Minute erster zu sein, bis die Ampel sehr schnell auf Grün schaltet. Viel schneller als in Wien.

Wenn man also nicht immer an einem Autorennen teilnehmen möchte, das man ohnehin nicht gewinnen kann, steigt man aufs "bicikl". Das ist bedeutend entspannter und vielleicht die beste Art, sich überhaupt in Zagreb zu bewegen. Die Fahrradwege sind enger als in Wien, so als würde man sich noch nicht ganz trauen, den Radfahrern viel Raum zu überlassen. Aber das macht gar nichts, weil man erstens auch neben dem Fahrradweg fahren kann und zweitens dabei weder von Polizisten, noch von grantigen Österreichern beschimpft wird. Es schimpft hier sowieso niemand. Beim Fahrradfahren passen eher alle aufeinander auf.

Gehsteig als "shared space"

Die Zagreber Gehsteige könnte man als "shared space" bezeichnen, einen Raum, in dem man aufeinander acht gibt, gerade weil er nicht so geordnet ist oder gerade weil es hier unterschiedliche Bedürfnisse und Geschwindigkeiten gibt. Es ist normal auf dem Fahrradweg in die Gegenrichtung zu fahren. Und auch das macht nichts. Nicht die Regeln sind entscheidend, nicht Prinzipientreue, sondern diese südosteuropäische Mischung aus Flexibilität und Improvisation, die alles sehr leicht macht und auch gescheit ist. Deshalb regt sich auch keiner auf, wenn einer am Fahrradweg den Fußball balanciert oder das Radl schiebt oder längere Zeit stehen bleibt, um "Baba" zu sagen – in Zagreb sagt man auch "Baba".

Gerade weil das Fahrradfahren noch nicht so etabliert ist, kann man auch Rallye-Routen in der Stadt finden, Wege mit Hindernislöchern oder Metall- und Betonstreben, die man umradeln muss. Und wenn man die Stadt so behutsam mit dem Rad erkundet, sieht man auch viel besser, wie schön die Menschen hier sind, die Zagrepčanka und der Zagrepčanin, die „Purger" (Bürger), wie man hier sagt. Sie alle sind in den vergangenen drei Wochen aus ihren Häusern gekrochen und sitzen nun an den Straßen im Café und schauen auf den Verkehr. In Zagreb verschanzt man sich nämlich nicht hinter Thujenhecken oder in Schanigärten. Die Straße ist das Leben. Und das Fahrrad wird immer mehr das Verkehrsmittel, um mitten in diesem Leben zu sein. (Adelheid Wölfl, derStandard.at, 2.5.2013)