Wie bedrohlich ist die Digitalisierung für die traditionelle TV-Branche? Programmchefs diskutierten in St. Pölten aktuelle Entwicklungen in der Bewegtbildproduktion.

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Die Fragementierung der Bewegtbildlandschaft ist in vollem Gange und die Positionen der Player sind noch nicht geklärt. Diese Tatsache kristallisierte sich auch bei der 5. c-tv-Fernsehkonferenz am Dienstag in St. Pölten heraus. Der Großteil der Fachmeinungen speiste sich aus dem eigenen Wunschdenken – die große Wahrheit konnte keiner der Anwesenden für sich beanspruchen.

Wo sind die Zuschauer hin?

"Die großen staatlichen Sender leiden stark unter der Fragmentierung der Senderlandschaft", sagte Oliver Fuchs, Unterhaltungschef des ZDF, in einem einführenden Exkurs über die "Primetime in Bedrängnis": "Wir fragen uns jeden Tag, wo denn die Zuschauer hin sind." Die Analyse der letzten Quotenhits lasse nur einen Rückschluss zu: Allein Großevents, nationale, historische oder aktuelle Ereignisse würden noch für perfekte Zuseherkurven sorgen.

Fernsehen als Flucht vor Einsamkeit

ORF-Unterhaltungschef Edgar Böhm stimmte seinem ZDF-Kollegen zu und verteilte dabei soziologische Seitenhiebe. "Ich glaube, wir sind oft sehr einsam in dieser Medienwelt", interpretierte er die Bedürfnisse der modernen Zuschauer, "Fernsehen schafft es immer wieder, gemeinsame Erlebnisse zu schaffen. Bei großen Programm-Ereignissen sitzt die Nation wieder vorm TV wie vor einem Lagerfeuer."

Als Referenz führte er die von der BBC lizenzierte Abendshow "Dancing Stars" an, die bereits zum achten Mal vom ORF ausgestrahlt und nach wie vor von Zusehern aller Altersklassen emotional diskutiert werde. Die Lizenzierungskosten beliefen sich pro Staffel auf 15.000 Euro – vernachlässigbar im Vergleich zu den hohen Produktionskosten, erklärte Böhm.

"Proaktiver" Formate-Einkauf

Fuchs ließ darauf die Ankündigung folgen, dass sich künftig auch das ZDF "proaktiv" dem Einkauf internationaler Formate öffnen wolle. Zusätzlich seien Eigenformate und verstärkte Investitionen in Medientransfers wie Buchverfilmungen geplant.

Keine Krise für Spartenkanäle

Markus Mooslechner, Executive Producer für ServusTV ("Terra Mater"), prognostizierte ganz im Sinne seines Arbeitgebers einen Siegeszug der Spartenkanäle. Es sei wichtig, bei der Programmierung nicht allein auf Quoten zu schielen, die nur Zuschauer vor den TV-Geräten zählen, sondern authentisches, relevantes und berührendes Programm zu schaffen.

"Wir geben uns große Mühe, Menschen vor die Kamera zu holen, die etwas zu erzählen haben und die sich nicht aufgrund bestehender Hierarchien vor die Kamera drängen", so Mooslechner. Außerdem setze man bei Red Bull auf Transmedia-Storytelling, um die Menschen dort zu unterhalten, wo sie gerade sind.

Second Screen ist überschätzt

Weder Fuchs noch Böhm ließen sich auf die Transmedia-Diskussion ein. Ersterer reduzierte die Aktivität am Second Screen zur Kommentarfunktion, geboren aus dem Mitteilungsbedürfnis, das durch fehlende Familienverbände nicht mehr in der Realität gestillt werden könne. Böhm wiederum beurteilte die Nutzung von Smartphones oder Tablets parallel zum Fernsehprogramm schlicht als überschätzt.

TV-Abstinenz der 12- bis 24-Jährigen

Im grellen Gegensatz zu den Verwaltern des Bestehenden konzentrierte sich Medienwissenschaftler Bertram Gugel, der federführend an der multimedialen Arte-Plattform beteiligt ist, auf die Menschen, die den Fernseher gar nicht mehr einschalten.

Diese Gruppe, statistisch gesehen vorwiegend die 12- bis 24-Jährigen, vertreibt sich seinen Beobachtungen nach die Zeit im sozialen Videonetzwerk Youtube, das den TV-Stationen nicht nur Zuschauer, sondern immer öfter auch Werbeetats wegschnappt.

"Youtube ist nicht Fernsehen", stellte Gugel fest. Die Entwicklung der Reichweite gehe ganz anders vonstatten. Statt innerhalb weniger Stunden werde sie über einen längeren Zeitraum aufgebaut. Bei bekannten Channels gehe das so weit, dass die Hälfte der Klicks im Archiv generiert werden.

Die Psychologie von Youtube

Der Einstieg für TV-Produzenten in das Videouniversum sei nicht leicht. "Es geht nicht darum, wie das Produkt aussieht, sondern ob die Story stimmt. Wenn man die Community nicht versteht, hat man keinen Erfolg", erklärt Gugel die Psychologie des Netzwerks, dessen Eigenarten er mit den Anfängen des Fernsehens oder dem Start der Kabelsender vergleicht.

Die traditionellen Bewegtbildproduzenten müssten sich bald entscheiden, warnte Gugel. Entweder sie positionieren sich in der Nähe von Tech-Unternehmen wie Netflix, die inzwischen mit einem 100-Millionen-Dollar-Budget Erfolgsserien wie "House of Cards" produzieren, oder bei den Community-Kennern, die mit ihren Parodien und Nischenformaten Millionen unterhalten.

Gier ohne Sendungsbewusstsein

Stephan Bauer, Formatentwickler und Produzent, diagnostiziert das TV-Problem bei den Programmmachern selbst. In seinem Vortrag ließ er an seinem ehemaligen Arbeitgeber ProSieben kein gutes Haar und schloss nach der Schilderung der immer prekärer werdenden Arbeitsbedingungen: "ProSieben weiß längst, dass das Fernsehen tot ist, aber es ist ihnen wurscht. Denen ist nur wichtig, dass sie das unterbringen, was sie wirklich verkaufen, Games und Tickets und so weiter. Da gibt es kein Sendungsbewusstsein." (Tatjana Rauth, derStandard.at, 2.5.2013)