Lukas, ausgestoßener und gedemütigter Mann in der dänischen Kleinstadt.

Foto: thimfilm

Seit Thomas Vinterberg "Die Jagd" 2012 in Cannes präsentiert hat, überschlägt sich die Kritik mit Lobeshymnen auf den Film. Nicht weniger als ein Meisterwerk habe das einstige Film-Wunderkind ("Festen", 1998) der Dogma-Ära hier abgeliefert  – voller Scharfsinn und Weisheit über eine Gesellschaft, die auf das Wort Kindesmissbrauch nur mehr wie ein pawlowscher Hund bellt und den Täter, so unsicher auch die Beweislage ist, am Boden sehen will.

Der Vorwurf des Kindesmissbrauchs

Der Film erzählt die Geschichte von Lukas, einem Lehrer, der wegen der Schließung seiner Schule einen Job als Erzieher in einem örtlichen Kindergarten annimmt. Beliebt bei Freunden und Kindern wird er plötzlich Opfer einer zweifelhaften Aussage eines fünfjährigen Mädchens, aus dem die überaus besorgten Erwachsenen einen sexuellen Übergriff konstruieren. Und so nimmt die Jagd auf den unbescholtenen Lukas, selbst Vater eines halbwüchsigen Sohnes, seinen Lauf.

Präsentiert und rezipiert wurde der Film als Stück über Kindesmissbrauch und die Art und Weise, wie wir heute mit Kindern umgehen: in der tiefen Überzeugung, dass Kinder unschuldig sind und immer die Wahrheit sagen. In der Tat ist die Art und Weise, wie aus einem schüchternen Kopfnicken eines in die Ecke getriebenen Kindes ein Generalverdacht gegen einen Menschen konstruiert wird, meisterhaft inszeniert. Doch der Fokus auf diesen einen Erzählstrang wird dem Film als Ganzes nicht gerecht, hat er sich doch mindestens genauso stark der Misere des "modernen Mannes" verschrieben. Gerade dieser wichtige Aspekt wird in der bisherigen Betrachtung des Filmes jedoch vollkommen ausgeblendet.

Bildungsapparat, Beziehung, Sorgerecht

Quasi traumwandlerisch schreitet der Film die zentralen Krisenherde zeitgenössischer Männlichkeit ab: Da wäre als erstes einmal ein von Frauen dominierter Kinderbetreuungsapparat, der in vielen Mainstream-Bildungsdebatten ja bereits als schädlich oder zumindest benachteiligend für Buben gebrandmarkt wird. In Lukas Arbeitsplatz reißen sich die kleinen Buben um die Gunst des einzigen männlichen Betreuers, bietet er ihnen doch mit den spielerischen Raufereien offenbar das, was sie sonst so schmerzlich vermissen.

Es folgt das Spiel zwischen den Geschlechtern: Die selbstbewusste Kollegin macht gegenüber Lukas zwar den ersten Schritt, doch gleich darauf fordert sie von ihm forsch ein, sie zu erobern. Moderne Frauen haben widersprüchliche Erwartungen, erfährt der Neo-Single Lukas. Doch was bleibt ihm als geschundener Hetero schon anderes übrig, als sich auf die kryptischen Avancen der Frau einzulassen?

Und weiter geht es mit der Klischee-Kiste in Sachen Männer-Leid, wenn die böse Ex-Frau ins Spiel kommt. Die Mutter seines Sohnes, die jeglichen Telefonkontakt ablehnt, will ihn von seinem heranwachsenden Sohn fernhalten, obwohl dieser eigentlich viel lieber beim Vater leben würde. Darüber hinaus macht sie sich noch über seinen "unmännlichen" Job als Kindergartenlehrer lustig.

Rückzugsort Jagd

Parallel dazu sieht man Lukas immer wieder seinem Hobby frönen – der Jagd. In Gemeinschaft mit der eingeschworenen Männergruppe streift er durch den Wald, erlegt umherlaufendes Wild und verspeist es anschließend gemeinsam mit seinen Freunden. Später, als sich der Mob, dem sich auch die eigenen Freunde anschließen, wieder beruhigt hat, erhält Lukas' Sohn das Familienjagdgewehr überreicht, und die traditionsreiche Männergemeinschaft ist wieder hergestellt.

Der Film greift damit sämtliche Felder auf, die derzeit populär als Männerleid inszeniert werden: sei es der schmerzhafte Jobverlust, ein feminisierter Bildungsapparat, die zu hohen Ansprüche moderner Frauen, die Benachteiligung bei Elternrechten bis zum alles zerstörenden Vorwurf des Kindesmissbrauchs. Die Jagd kann dabei als Zeitvertreib verstanden werden, in der mann immer wieder in die archaischen, letztlich toxischen aber auch längst morschen Männlichkeitsvorstellungen eintaucht.

Kommentar auf Geschlechterdebatten

Zwar ist nichts Verwerfliches daran, auch Männer als Opfer äußerer Umstände zu präsentieren. Im Film "Die Jagd" sind die Referenzen dieser Krisen aber so klischeehaft und ideologiebehaftet benannt, dass es schwer fällt, sie nicht als Kommentar auf aktuelle Geschlechterdebatten zu lesen. Gerade für einen Film, der die tragischen Ausnahmefälle von Falschbeschuldigung von Sexualstraftätern zum Thema macht, obwohl das grundlegende gesellschaftliche Problem eigentlich die mangelnde Verfolgung von Sexualstraftätern ist, sollten derartige Klischees eigentlich Tabu sein. (Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 30.4.2013)